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Aus: Ausgabe vom 17.11.2025, Seite 16 / Sport
Fußball

Auf ein Neues

Noch immer hält sich der linke schwedischen Fußballklub Degerfors IF in der ersten Liga
Von Gabriel Kuhn, Stockholm
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Die Mauer steht: Abwehrarbeit in Degerfors (9.11.2025)

Vor fünf Jahren berichtete jW erstmals über Degerfors IF, den Fußballklub aus der »rotesten Gemeinde« Schwedens. Damals war der Verein mit stolzer Geschichte (schwedischer Vizemeister 1941 und 1963, schwedischer Cupsieger 1993) erstmals nach 23 Jahren wieder in die Allsvenskan aufgestiegen, die höchste Liga Schwedens. Entgegen allen Unkenrufen: Dem Verein aus der Stahlstadt mit 7.000 Einwohnern im Niemandsland zwischen Stockholm, Göteborg und Oslo war der Abstieg in die Amateurligen vorausgesagt worden, da die Entwicklungen des modernen Fußballs am Klub vorbeizulaufen schienen. Der Sportdirektor wusch die Trainingskleider, der VIP-Bereich war eine von Pensionären zusammengezimmerte Holzbude, und der Großteil der Spieler kam aus Dörfern der Region.

Der Wiederaufstieg von Degerfors IF in die Allsvenskan 2020 ließ kein fußballromantisches Auge trocken. Auch in Deutschland zogen viele Formate nach. Fußballmagazine wie 11 Freunde schickten eigene Reporter in die Stadt, um den dortigen Kreisklassecharme abzufeiern. Das schwedische Fernsehen begleitete den Verein und die Stadt während der gesamten Saison für die Doku »Hier kommt Degen« (»Degen« ist Degerfors für Eingeweihte).

Was Degerfors für linke Fußballfans besonders attraktiv macht, sind die Erfolge der Linkspartei bei Kommunalwahlen. Diese hatte bei den letzten Nationalratswahlen in Schweden ganze sieben Prozent für sich verbucht, in den letzten 20 Jahren bei Kommunalwahlen in Degerfors jedoch bis zu 49 Prozent erreicht. Die Linkspartei strich den Zusatz »Die Kommunisten« 1990 aus ihrem Namen, doch in Degerfors hielten sich Hammer und Sichel bis ins neue Jahrtausend im Logo der Ortsgruppe. Joakim, ein Urgestein der linksgerichteten Ultras Rossobianco (Rot-Weiß sind die Farben des Vereins), meinte gegenüber jW: »In Degerfors ist es keine Schande, Kommunist zu sein – im Gegenteil.«

Entgegen allen Erwartungen hielt Degerfors IF zweimal die Klasse, beide Male auf dramatische Weise. 2021 rettete man sich in der letzten Runde im Schneegestöber von Östersund (in den nordischen Ländern folgt die Saison immer noch dem Kalenderjahr) mit einem Abstaubertor in der 87. Minute nach einem schwach ausgeführten Eckball. 2022 erkämpfte man den entscheidenden Punkt im letzten Spiel ausgerechnet beim schwedischen Rekordmeister Malmö FF.

2023 war es vorbei mit den Wundern. Degerfors IF verpasste den Klassenerhalt deutlich. Wieder wurde der – nun vermeintlich endgültige – Niedergang des Vereins vorausgesagt. Denkste. Mit einer Truppe aus No-Names spielte Degerfors eine formidable Saison und stieg als Meister der zweiten Liga 2024 direkt wieder auf.

In der Allsvenskan ging es 2025 gleich so weiter. Im Auftaktspiel fegte Degerfors Halmstads BK auswärts mit 5:0 vom Platz, und nach einem Heimsieg gegen IFK Värnamo grüßte man nach zwei Runden von Platz eins der Tabelle. Nach neun Runden war man immer noch Sechster. Dann folgte eine Serie von 14 Spielen ohne Sieg, und nach der 18. von 30 Runden fand man sich auf einem Abstiegsplatz wieder. Nach einer 2:3-Niederlage beim abgeschlagenen Schlusslicht Värnamo Mitte August schien der Abstieg besiegelt. Auch ein Trainerwechsel half zunächst nichts. Mit Henok Goitom, einer Legende des Stockholmer Großklubs AIK, übernahm die bekannteste Persönlichkeit in Degerfors seit Sven-Göran »Svennis« Eriksson – der spätere englische Teamchef begann hier 1977 seine Trainerlaufbahn.

Doch dann legte Degerfors wieder eines ihrer bekannten Saisonfinishs hin. Von den letzten sieben Spielen ging nur noch eines verloren, und als Elias Barsoum drei Runden vor Schluss gegen den direkten Konkurrenten Östers IF den Ball in der 93. Minute zu einem 2:1-Auswärtssieg ins Tor stolperte, hatte sich der Klub auf den Relegationsplatz gehievt. Doch es sollte noch besser kommen. Nachdem IFK Norrköping (2015 noch schwedischer Meister) gegen Saisonende eine miserable Form zeigte und die letzten sechs Spiele verlor, gelang Degerfors mit einem 3:1-Sieg bei den Brommapojkarna in der letzten Runde noch der Sprung auf den rettenden Platz 13. Das heißt: Auch nächstes Jahr wird im Stadion Stora Valla in Degerfors wieder Erstligafußball gespielt – und auch nächstes Jahr wird man wieder um zahlreiche Sondergenehmigungen nachsuchen müssen, da das Stadion nicht den Ansprüchen einer auf TV-Vermarktung gestriegelten Fußballindustrie entspricht.

Für die Verantwortlichen in Degerfors steht nun die übliche Arbeit an: Die besten Spieler werden, wie jedes Jahr, von finanzstarken Konkurrenten aufgekauft, und es gilt, ein neues Team zusammenzustellen aus talentierten Nachwuchskickern, Haudegen aus Amateurligen und verdienten Profis, die am Ende ihrer Karriere noch einmal Lokalhelden werden wollen. Sportdirektor Patrik Werner, ein Kind des Ortes, ist seit einem Jahrzehnt im Amt, Trainer Henok Goitom will bleiben. Die Fans tun das sowieso. Gute Voraussetzungen für einen neuen 13. Platz in der Allsvenskan 2026 – vielleicht sogar mit etwas weniger Herz­klopfen.

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