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Aus: Ausgabe vom 12.11.2025, Seite 15 / Antifaschismus
»Seitenwechsel«-Buchmesse in Halle

Alle unter einem Dach

Sachsen-Anhalt: Buchmesse in Halle vernetzt konservative, reaktionäre und neurechte Ideologieproduzenten mit ihrem Publikum. Hunderte protestieren dagegen
Von Marc Bebenroth
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Medien, die der Szene nicht nahestehen, mussten draußen bleiben: Schlange am Eingang zur Messe (Halle, 8.11.2025)

Diese Veranstaltung bloß als »rechtsextrem« abzutun, greift etwas zu kurz. Am vergangenen Wochenende hat die von einer Dresdner Buchhändlerin und AfD-Politikerin organisierte Buchmesse »Seitenwechsel« in Halle (Saale) zahlreiche Verlage und Medienprojekte versammelt. Das Spektrum der Aussteller und des Messeprogramms erstreckte sich am Freitag und Sonnabend von ehemals (links-)sozialdemokratischen Künstlern, die sich mittlerweile als Krämer der Querfront verdingen, über Nationalkonservative und Nationalromantiker bis hin zu (krypto-)faschistischen und »identitären« Akteuren. Nach Angaben der Veranstalterin Susanne Dagen, kulturpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion im Dresdner Stadtrat, zählte die Messe mehr als 6.000 Besucherinnen und Besucher sowie rund 70 Aussteller. Die nächste ist bereits für den 7. und 8. November 2026 angekündigt.

Entgegen anderslautender Gerüchte, die auch nach der Messe noch kursierten, war der Westend-Verlag mit Sitz in Neu-Isenburg tatsächlich nicht vertreten. Eine Nennung im Ausstellerverzeichnis findet sich nicht und auch Verlagssprecher Rüdiger Grünhagen hat am Dienstag im Gespräch mit junge Welt eine Präsenz auf der »Seitenwechsel«-Messe dementiert. Zu den offiziell beworbenen Ausstellern zählen der von einem Ex-NPD-Funktionär gegründete »Hydra Comics«-Verlag, der den jüngsten Heftcovern nach zu urteilen die Gewaltphantasien von Neonazis und rechten Schlägertrupps zu bedienen scheint, der extrem rechte Jungeuropa-Verlag aus Dresden, der die verkappt »identitäre« Zeitschrift Die Kehre veröffentlichende Oikos-Verlag aus Cottbus und das deutsch-nationalromantische Antiquariat »Zeitenstrom«. Mit eigenem Stand war außerdem das zwischenzeitlich von der Bundesregierung rechtswidrig verbotene Compact-Magazin vertreten. Als Medienpartner werden der Streamingsender »Kontrafunk«, der unter anderem freitags eine Sendung mit dem reaktionären Autor Matthias Matussek ausstrahlt, und das ebenfalls reaktionäre Magazin Tichys Einblick gelistet.

Explizit ausgeschlossen war dagegen der neonazistische »Sturmzeichen«-Verlag. Laut einer Mitteilung der Messeleitung habe dieser keine Zulassung erhalten, sondern sei über »eine unzulässige Datenmanipulation« im Aufstellerverzeichnis gelandet. Der nach eigenen Angaben nicht nach Halle gereiste österreichische Faschist Martin Sellner, Kopf der »Identitären Bewegung«, lobte die Veranstaltung auf der Plattform X am Sonntag als »massiven metapolitischen Erfolg«. Halle habe gezeigt: »Wir sind eine Macht. Man muss mit uns rechnen. Wir haben Oberwasser«, freute sich Sellner.

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Hunderte protestierten in Halle (Saale) gegen die rechte Buchmesse (8.11.2025)

Offizielles Ziel der Messe sei es, Autoren zu fördern, »die bereit sind, neue Perspektiven zu eröffnen, verschiedenste gesellschaftliche Themen zu beleuchten und dabei oft mutig gegen den Strom schwimmen«, wie es auf der Internetseite heißt. Nachdem die großen Buchmessen in Leipzig und Frankfurt am Main im Laufe der Jahre rechte und neurechte Akteure erst ausgegrenzt und schließlich ausgeschlossen hatten, stellt die »Seitenwechsel«-Messe den letztlich erfolgreichen Versuch dar, den Ideologieproduzenten der rechten, völkischen bzw. neurechten Szene einen eigenen Sammel- und Vernetzungsort bereitzustellen.

Zum Bühnenprogramm gehörten Auftritte auch außerhalb der Szene bekannter Akteure. Dazu zählen der neurechte Ideologieverkäufer Götz Kubitscheck, der mit dem von ihm geförderten Exinhaftierten Aron Pielka sowie seinem Antaios-Verlag auftrat, oder Gloria von Thurn und Taxis, die auf einen inflationiert gebrauchten Nazivorwurf angesprochen entgegnete, man dürfe heutzutage nicht sagen, »dass die Antifa die moderne SA ist« sowie Junge Freiheit-Chef Dieter Stein, der mit neurechten Influencern sprach. Die ehemalige Grünen- und spätere CDU-Politikerin Vera Lengsfeld las aus ihrem Buch »Ist mir egal. Wie Angela Merkel die CDU und Deutschland ruiniert hat«, das von der Firma hinter dem rechten Blog »Achse des Guten« veröffentlicht wurde. Der extrem rechte Politiker und ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen sprach anlässlich einer neuen, von ihm verfassten Einführung zum mehr als 50 Jahre alten Buch »Systemüberwindung, Demokratisierung und Gewaltenteilung« des Soziologen Helmut Schelsky. Der AfD-Politiker und frühere Kubitscheck-Angestellte Erik Lehnert trat ebenso auf wie der AfD-Abgeordnete Marc Jongen.

Während sich drinnen fleißig vernetzt und auf die Schultern geklopft wurde, protestierten draußen auf der Straße mehrere hundert zumeist bürgerliche Antifaschisten. Außerdem fand das »Wir«-Gegenfestival in der Innenstadt von Halle statt. »Dass wir die Menschen dazu bringen, sich zu interessieren und ihnen auch zu sagen: Was dort stattfindet, das ist keine normale Buchmesse«, sagte »Wir«-Sprecherin und Buchhändlerin Theresa Donner dem MDR zur Intention des Festivals, das demnach unter anderem vom Börsenverein des deutschen Buchhandels unterstützt wurde.

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