Für die Fähigkeit zum Töten
Von Arnold Schölzel
Die Wehrpflicht kommt. Das ist das Fazit einer Anhörung zum »Wehrdienst-Modernisierungsgesetz«, die am Montag im Verteidigungsausschuss des Bundestages in Berlin stattfand. Das Gesetz, auf dessen Grundlage zunächst alle Männer beginnend mit dem Jahrgang 2008 nach ihrer Bereitschaft zum freiwilligen Wehrdienst befragt werden, soll am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Der von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius im Sommer ins Kabinett eingebrachte und dort verabschiedete Entwurf wurde Mitte Oktober in den Bundestag eingebracht. Politiker der CDU/CSU kritisierten ihn scharf.
Die Differenzen sind offenbar überwunden. Am Montag besuchte Pistorius jedenfalls das Heimatschutzregiment, also eine Einheit von Bundeswehrreservisten, in Münster und erklärte dort mit Blick auf die Koalitionspartner, er sei »sehr, sehr optimistisch, weil wir uns annähern«. In dem Gesetz solle es »Pflichtelemente« geben, falls sich nicht genügend Freiwillige fänden. Es gehe darum, »im Verteidigungsfall wirklich handlungsfähig sein zu können und wirklich zu wissen, wer ist denn überhaupt in der Lage, eingezogen zu werden«. Ähnlich wie Pistorius ging auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Thomas Röwekamp (CDU), von einer Einigung in dieser Woche aus. Er sagte im ZDF-»Morgenmagazin«: »Wir haben schon viele Gemeinsamkeiten miteinander definiert. Jetzt geht’s noch um Detailfragen.« Es sei wichtig, dass die Koalition jetzt geschlossen in die weiteren parlamentarischen Beratungen gehe.
Dem steht nach der Anhörung im Verteidigungsausschuss nichts entgegen. Sie verlief routinemäßig unter allgemeiner Berufung der meisten Abgeordneten und befragten Gäste auf die angeblich akute Bedrohung durch Russland. Verhaltene Kritik am Gesetzesverfahren übten allein der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Quentin Gärtner, sowie Daniela Broda vom Deutschen Bundesjugendring. Gärtner nannte es einen »signifikanten Fehler«, dass die junge Generation in die Gesetzesberatung nicht einbezogen wurde. Er bezeichnete die Lage in den Schulen der Bundesrepublik als »absolute Katastrophe« und forderte Investitionen in die Bildung, um »resiliente Menschen« zu schaffen. Broda erklärte, junge Menschen tauchten in dem Gesetz lediglich als »naheliegende Ressource« auf. Es fehle eine umfassende Information Jugendlicher nicht nur übers Militär. Sicherheit gebe es nicht ohne Freiheit und Mitbestimmung.
Die anderen Fachleute, darunter der Militärhistoriker Sönke Neitzel sowie der General a. D. und AfD-Politiker Joachim Wundrak, kritisierten vor allem das angesichts der angeblichen Bedrohung aus ihrer Sicht zu langsame Tempo des Bundeswehr-»Aufwuchses«. Neitzel plädierte für eine »Auswahlwehrpflicht« nach skandinavischem Vorbild und beklagte die Schwäche der Armee: Sie habe nicht einmal genug Besatzung für sechs U-Boote. Er fragte: »Was tun wir, wenn in zwei Jahren ein Krieg ausbricht und die Bundeswehr nicht kämpfen kann?« Wundrak nannte die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 einen »strategischen Fehler«, sie müsse wieder her. Das jetzt geplante Ziel von 260.000 Soldaten entspreche nur 0,36 Prozent der deutschen Bevölkerung – das sei »mäßig«. Der AfD-Abgeordnete und Oberst a. D. Rüdiger Lucassen brachte schließlich die nötige moralische Stählung in die Veranstaltung und erkundigte sich, welche Rolle unter jungen Leuten die Frage spiele, »Volk und Vaterland mit der Waffe in der Hand zu verteidigen« sowie die »Fähigkeit zum Töten« zu erwerben. Die AfD sagt, was Pistorius, Neitzel, Röwekamp usw. meinen.
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