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Aus: Ausgabe vom 27.08.2025, Seite 4 / Inland
Kriegsvorbereitungen

Wehrpflicht vorerst vom Kabinettstisch

Regierung will Gesetzentwurf beschließen. Zwangsrekrutierung soll Option bleiben
Von Marc Bebenroth
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Sollen gefüllt werden: Fertige Feldjacken hängen am Stand der Bundeswehr auf der weltgrößten Videospielmesse Gamescom in Köln (21.8.2025)

Die wenigen, die wegen Hakenkreuzfunden oder Hitlergruß die Truppe vorzeitig verlassen müssen, kann die Bundeswehr ersetzen. Kopfzerbrechen herrscht eher darüber, ob und wie die Zielgröße von NATO und Bendlerblock erreicht werden soll. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat am Dienstag in Berlin gegenüber Journalisten dementiert, dass es in der Koalition von CDU/CSU und SPD einen »grundsätzlichen Dissens« gebe. »Wir sind uns in der Zielrichtung einig«, sagte Merz. An diesem Mittwoch soll der Entwurf des Verteidigungsministeriums zum neuen Wehrdienst über den Kabinettstisch gehen.

Den Einlassungen des Kanzlers zufolge konnte sich die SPD gegenüber Forderungen aus der Union nach schnellstmöglicher Rückkehr zur Wehrpflicht durchsetzen bzw. mit Hinweisen auf die materiellen Gegebenheiten überzeugen. Merz verwies auf die noch nicht vorhandenen Ausbildungskapazitäten der Bundeswehr. »Wenn wir sehen, dass wir die Zahlen nicht erreichen, die wir brauchen, dann wird der nächste Schritt folgen müssen – und zwar beginnend mit einer Wehrerfassung«, führte er aus.

Die Bundeswehr spricht von einem Bedarf von rund 80.000 zusätzlichen aktiven Soldatinnen und Soldaten. Gegenwärtig stehen rund 180.000 unter Waffen. Die NATO-Kriegsallianz sieht für das deutsche Militär eine Größenordnung von 260.000 Soldaten vor, um – so die offizielle Sprachregelung – einem ab 2029 oder 2030 erwarteten Angriff der russischen Streitkräfte standhalten zu können. Auf eine konkrete Zielgröße verzichtet der für die ins Verteidigungsministerium verlegte Kabinettssitzung vorbereitete Gesetzentwurf.

Politiker der Unionsfraktion im Bundestag hatten die Nennung einer Zahl für den sogenannten Aufwuchs verlangt. Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte vergangene Woche sogar ein Veto gegen den Entwurf eingelegt. Davon war aber bereits am Montag keine Rede mehr. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) stimmte die Beteiligten derweil darauf ein, dass an dem Gesetz im Bundestag womöglich noch Änderungen vorgenommen würden. Sollte die Wunschzahl der Bundeswehr über den Weg der Freiwilligkeit nicht erreicht werden, »gibt es Kriterien, wo wir sagen, im Jahr 2027, 28, 29 müssen wir die Zahl an Soldatinnen und Soldaten erreicht haben«, sagte Spahn am Dienstag im RBB. »Sonst müssen wir in die Verpflichtung gehen.«

In der seit Monaten medial verhandelten Debatte zwischen Union und SPD hatte die Kanzlerpartei immer wieder darauf gedrängt, so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich rekrutieren zu lassen. Die SPD hatte sich von Anfang an für den Vorrang der Freiwilligkeit ausgesprochen – ohne Zwangsrekrutierung je auszuschließen – und verwies dazu auf demnach bestehende Beschränkungen der Infrastruktur. Was der SPD-Minister Pistorius an diesem Mittwoch vorlegt, dürfte dem entsprechen, was er im Juni 2024 der Öffentlichkeit präsentiert hatte.

Das geht zumindest der Parteijugend »viel zu weit«. Der Entwurf beinhalte »eine Hintertür, um junge Männer einzuberufen, wenn die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert«, kritisierte Juso-Chef Philipp Türmer in der Rheinischen Post vom Dienstag. Dies widerspreche »dem Kompromiss, den wir mit Boris Pistorius gefunden hatten.

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