Alkoholproblem am 38. Breitengrad
Von Martin Weiser
Die Grenzen zwischen den Staaten dieser Welt bringen zuverlässig Absurdes hervor: So steckt seit mehr als einem Monat beim südkoreanischen Zoll Hochprozentiges aus der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) im Norden fest. Für gut 3.500 Flaschen Heidelbeer- und traditionellen Gewürzschnaps mit 40 Prozent Volumenalkohol fehlt laut dem südkoreanischen Ministerium für Nahrungsmittel- und Medikamentsicherheit ein entscheidendes Dokument: die Unternehmensregistrierung des Produzenten, in diesem Fall der Taedonggang Food Factory. Ohne könne man diese Produkte nicht auf den Markt und in die Rachen werfen.
Das Problem: So ein Dokument gibt es nur für Privatunternehmen. Wie der südkoreanische Importeur aber laut der Zeitung Korea Times beteuert, gab es seitens der DVRK bereits die offizielle Antwort: Man könne keine Unternehmensregistrierung ausstellen, der Hersteller stehe unter staatlicher Kontrolle. Sogar auf Auszeichnungen der Fabrik wird die Produktionsstätte immer als Teil des Pjöngjanger Nahrungsmittelkomplexes unter dem Ministerium für Nahrungsmittelindustrie erwähnt.
Beim Wiedervereinigungsministerium des Südens ist man hingegen der Ansicht, die selbständige Nachprüfung übersteige die eigenen Möglichkeiten, und ohne offiziellen Gesprächskanal sei die Zugehörigkeit des Unternehmens auch nicht zu erfragen. Ausnahmen für den Import von Nahrungsmitteln aus der DVRK sieht das entsprechende Gesetz, das man noch 2016 auf dem Tiefpunkt der zwischenkoreanischen Beziehungen verabschiedet hatte, auch nicht vor.
Dabei wäre die Fabrik kein Unbekannter. 2015 wurde der dort produzierte Pjöngjang-Soju, ebenfalls hochprozentig, zum »Nationalschnaps« erklärt; Südkoreas Nachrichtenagentur Yonhap News berichtete ausführlich über diese Spirituose und ihren Hersteller. Seit zwei Jahren wird zudem ein traditioneller Gewürzschnaps auf Basis von Sojabohnenpaste als gesundheitsförderlich beworben. Dieser Werbekampagne ist es wahrscheinlich zu verdanken, dass man auch im Süden überhaupt auf diese Kreation aufmerksam wurde.
In Südkorea scheint man erst jetzt den toten Winkel des Gesetzes entdeckt zu haben. Lokale Berichte verweisen gerne darauf, dass unter dem rechten ehemaligen Unternehmerpräsidenten Lee Myung Bak 2010 jedweder Handel unterbunden wurde und man sich jetzt zum ersten Mal in 15 Jahren wieder daran versuche. Aber weder unter der Nachfolgerin Park Geun Hye (Amtszeit 2013–2016) noch während der kurzen Annäherung unter dem eher linken Moon Jae In (2017–2022) hatte man anscheinend ernsthaft die potentiellen Konsequenzen der Abschottungspolitik durchdacht.
So war vor fünf Jahren ein erster privatwirtschaftlicher Versuch aus Angst vor UN-Sanktionen gescheitert. Damals wollte die landwirtschaftliche Kooperative Nonghyup per Tauschhandel für 167 Tonnen Zucker umgerechnet 120.000 US-Dollar Schnaps bekommen. Um nicht gegen Handelsrestriktionen zu verstoßen, hatte man bereits auf die Bezahlung mit Geld verzichtet. Obwohl das Wiedervereinigungsministerium seine Zustimmung signalisiert hatte, grätschte der südkoreanische Geheimdienst dazwischen. Der Schnapsproduzent sei doch ein sanktioniertes Unternehmen, meinten die Spione. Der Hersteller sollte angeblich dem sogenannten Büro 39 der nordkoreanischen Arbeiterpartei unterstehen. Ein Beweis blieb aus, der Deal war mit der Behauptung aber geplatzt. Bis zum Problem einer fehlenden Unternehmensregistrierung war man damals also gar nicht erst gekommen.
Dieses Mal soll wohl alles runder laufen: Das Wiedervereinigungsministerium hat eilig eine Arbeitsgruppe mit den Kollegen für Lebensmittel- und Medikamentensicherheit sowie Zoll und Geheimdienst ins Leben gerufen, die sich diese Woche zum ersten Mal treffen soll. Etwas Gutes hat all die bürokratische Verwirrung jedenfalls: So machte Südkoreas Staat unfreiwillig Großwerbung für den Schnaps aus dem Norden, den jeder Südkoreaner ohne Probleme in der chinesischen Grenzregion bekommen kann – und der, bei entsprechendem Platz im Koffer, so bestimmt auch ganz ohne Passierschein seinen Weg ins Land findet.
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
Stefan Boness/IPON25.10.2025»Die Statue wurde uns entrissen«
Tolga Akmen/LNP/ZUMA Press/imago24.10.2025British Bullshit Club
IMAGO/StockTrek Images22.10.2025»Erschießt sie alle!«
Mehr aus: Kapital & Arbeit
-
Ethik nicht mehr zeitgemäß
vom 06.11.2025