Verfrühter Jubel in Rabat
Von Jörg Tiedjen
Da hat sich der marokkanische König aber verschätzt. Kaum hatte der UN-Sicherheitsrat in New York am Freitag (Ortszeit) die jüngste Resolution über die Westsahara-»Blauhelmtruppe« Minurso verabschiedet, wandte sich Mohammed VI. im Rundfunk an sein »liebes Volk«: »Wir erleben einen Wendepunkt und eine entscheidende Zäsur in der Geschichte des modernen Marokko: Es gibt ein Vor und ein Nach dem 31. Oktober 2025.« Denn dem Monarchen zufolge hatte das höchste Weltgremium soeben beschlossen, dass die Westsahara künftig »der marokkanischen Souveränität unterstellt werden soll« – so fasste es noch am Sonntag AFP zusammen.
Das ist jedoch mitnichten der Fall. Tatsächlich könnte man auf die Idee kommen, dass es sich um eine »beispiellose Manipulation durch die marokkanischen und internationalen Medien im Zusammenhang mit der Resolution 2797 (2025)« handelt, wie der sahrauische Journalist Rachid Lehbib am Sonnabend auf X urteilte. Denn weder erkennt der verabschiedete Text die »marokkanische Souveränität« an. Noch bezeichnet er einen 2007 vorgestellten marokkanischen Autonomieplan für die frühere spanische Überseeprovinz als »einzige Grundlage« für die Lösung des seit Jahrzehnten andauernden Westsahara-Konflikts.
Die Westsahara-Befreiungsfront Polisario beurteilt den Sicherheitsratsbeschluss denn auch überraschend nüchtern. Allerdings verweist sie in ihrer am Freitag vom Sahara Press Service veröffentlichten Stellungnahme auf »einige Elemente in der Resolution, die eine äußerst gefährliche und beispiellose Abkehr von den Grundsätzen darstellen, auf deren Grundlage der Sicherheitsrat die Westsahara-Frage bisher im Einklang mit den in der UN-Charta verankerten Grundsätzen behandelt hat«.
Wie kommt es zu dieser Diskrepanz? Am Ende seiner ersten Amtszeit hatte US-Präsident Donald Trump die marokkanische Souveränität über die Westsahara in einem Dekret anerkannt und dazu aufgefordert, den genannten Autonomieplan »als einzigen Rahmen für die Aushandlung einer für beide Seiten akzeptablen Lösung zu nutzen«. Als Gegenleistung musste Rabat damals seine ohnehin guten Beziehungen zu Israel auch offiziell normalisieren und den von Trump initiierten »Abraham-Verträgen« beitreten.
Sein 2020 formuliertes Vorhaben wollte Trump nun gleich zu Beginn seines zweiten Mandats im Sicherheitsrat durchdrücken. Dem Versuch kam entgegen, dass die USA turnusgemäß das Recht hatten, den entsprechenden Resolutionsentwurf selbst zu verfassen. Der wurde aber in einem wahren Sitzungsmarathon immer wieder überarbeitet, so dass es sich bei dem schließlich beschlossenen Text um ein Mischprodukt handelt. Zwar stimmten elf Mitglieder des 15köpfigen Gremiums dafür. Doch Russland, China und Pakistan enthielten sich, da sie einen derart »unausgewogenen Text« nicht befürworten, aber auch ein Scheitern der Minurso-Mandatsverlängerung verhindern wollten.
Ein schwarzer Tag für das internationale Recht war der Freitag aber in jedem Fall. Schließlich wird einmal mehr offensichtlich, dass sich mehrere Vetomächte im UN-Sicherheitsrat nicht an die Prinzipien der UNO gebunden fühlen. Das brachte der algerische UN-Botschafter Amar Bendjama auf den Punkt, der sich nicht an der Abstimmung beteiligte, sie aber mit einem Zitat des US-Präsidenten Woodrow Wilson kommentierte: »Völker dürfen nur mit ihrer Zustimmung beherrscht und regiert werden. Selbstbestimmung ist keine bloße Floskel, sondern unverzichtbares Handlungsprinzip.«
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