Gesundheitsschäden vermeidbar
Von Niki Uhlmann 
					Gesundheit und Profitinteresse vertragen sich nicht: Der Kranke will möglichst schnell genesen, der Behandelnde mit der Genesung möglichst viel Geld verdienen. Ein Widerspruch. Die Folge: Je mehr die Medizin auf Gewinn abstellt, desto fahrlässiger verfährt sie mit den Patienten. Zum Ausdruck kommt das beispielsweise bei kostspieligen Therapien mit fraglichem Nutzen, den sogenannten IGeL-Leistungen. Bedrohlicher noch ist der Pfusch bei unumgänglichen Eingriffen. Die Gefahr durch solche Behandlungsfehler hat der Medizinische Dienst, eine von Kranken- und Pflegekassen jeweils zur Hälfte finanzierte Körperschaft des öffentlichen Rechts, am Donnerstag mit neuen Zahlen illustriert.
Im vergangenen Jahr sei bei 12.307 Gutachten »zu vermuteten Behandlungsfehlern« in jedem vierten Fall ein »Behandlungsfehler mit Schaden« festgestellt worden, heißt es in der Pressemitteilung. In jedem fünften habe der Fehler den erlittenen Schaden verursacht. 134 Fälle seien als »Never Events« eingestuft worden. Das sind Fehler, die oft schwere Schäden nach sich ziehen, darunter »unbeabsichtigt im Körper zurückgebliebene Fremdkörper« oder »Verwechslungen von Patienten«. Ein Kommentar des Vorstandsvorsitzenden des Medizinischen Diensts Bund, Stefan Gronemeyer, unterstrich die Tragweite: »Wenn solche Fehler geschehen, dann bestehen Risiken im Versorgungsprozess, denen systematisch nachgegangen werden muss.« Den Preis zahlen nicht nur die Patienten, auch das Gesundheitssystem kommen die Fehler teuer zu stehen.
Knapp ein Drittel (32 Prozent) der untersuchten Fehler hat laut Auswertung dauerhafte Schäden verursacht, darunter leichte, etwa »eine geringe Bewegungseinschränkung«, aber auch schwere wie »dauerhafte Lähmungen«. 75 Patienten (2,7 Prozent) seien aufgrund falscher Behandlung gestorben. Das sind 75 zuviel, zumal es sich laut Gronemeyer um »vermeidbare Schäden« handelt. Zwei Drittel der Fehler ereigneten sich bei »Leistungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern«, wo mehr operative Eingriffe vorgenommen würden. Die Liste der Fachgebiete führen demnach die Orthopädie und Unfallchirurgie an. Reinhard Busse, der an der Technischen Universität Berlin Management im Gesundheitswesen lehrt, mahnte auf der Pressekonferenz zudem, dass die BRD im internationalen Vergleich hinterherhinke. So seien Nebenwirkungen medizinischer Behandlungen weltweit »seit 1990 um rund ein Drittel auf 1,3 pro 100.000 Einwohner gesunken«, in der BRD »hingegen im gleichen Zeitraum um rund 100 Prozent auf zuletzt 1,9 pro 100.000 Einwohner gestiegen«.
Zudem schlüsselte Busse die Mehrkosten für das deutsche Gesundheitssystem auf. Diese könnten, da Behandlungsfehler in der BRD nicht systematisch erfasst würden, nicht genau bestimmt werden. Es sei aber davon auszugehen, dass die vorliegenden Fälle nur die »Spitze des Eisbergs« bildeten. Übertrage man internationale Studien, ergebe sich allein für die weitere stationäre Versorgung nach Behandlungsfehlern ein Betrag von 15 Milliarden Euro. Diese Schäden würden hierzulande unterschätzt, so dass ein »Missverhältnis« zwischen den Mehrkosten und »den vergleichsweise geringen Investitionen in Patientensicherheit« herrsche. Wie so oft wäre Prävention auch im Gesundheitswesen billiger und vernünftiger.
Als ersten Schritt schlägt der Dienst ein »sanktionsfreies Meldesystem« vor. »International anerkannte Konzepte zur systematischen Fehlervermeidung sollten auch in Deutschland eingeführt werden«, heißt es in der Pressemitteilung. Dagegen dürften die Betreiber einiger zu Gesundheitsfabriken verkommener Krankenhäuser allerdings Einwände habe. Es sei nicht ausgeschlossen, dass bei bestimmten Behandlungsfehlern höhere Fallpauschalen, also mehr Profit winke. Man darf hoffen, dass der Staat sich ein Beispiel am Armenarzt Rudolf Virchow nimmt: »Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft, und die Politik ist weiter nichts, als Medizin im Großen.« Gesundheit darf keine Ware sein.
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