Der nötige Bruch
Von Tom Biebl
Zwischen Trommeln und Transparenten hallt das Echo des Sommers. Erst die große Verkündung vom 5. Juli: Hasan Ismaik habe seine Anteile am TSV 1860 München an eine »Schweizer Familienholding« verkauft. Dann, am 18. Juli, die Kehrtwende: Nichts ist vollzogen, Ismaik bleibt. Auf den Rängen ist dieses Hin und Her mehr als bloß Theater.
An der Tegernseer Landstraße leuchteten schon die Siegesfackeln. Süddeutsche, TZ und Merkur meldeten den Verkauf. Dann plötzlich der Rückzieher. Tatsächlich berichtete das Fanportal sechzger.de, dass bereits am 3. Juli bei einem Notartermin Verträge unterzeichnet worden seien – ohne Einbindung des Verwaltungsrats, der erst am 5. Juli davon erfuhr. Auch das neue Präsidium um Gernot Mang sprach von »Verwunderung« und einer »deutlich verfrühten Mitteilung«. Selbst die lokale Presse nannte es eine »historische Blamage«.
Wahrscheinlicher ist, dass Ismaiks Manöver Kalkül war – gezielt vor der Mitgliederversammlung plaziert. In einer E-Mail an die Süddeutsche Zeitung schrieb er, Expräsident Robert Reisinger und der frühere stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Karl-Christian Bay hätten »alle belogen«. Ob Täuschung oder schlechtes Timing, für die Mitglieder bleibt das Ergebnis dasselbe. Sie müssen wieder ausbaden, was hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde. Seit 2011 hält Ismaik die Mehrheit der KgaA-Anteile, nämlich 60 Prozent. Die 50-plus-eins-Regel verhindert, dass er das alleinige Sagen hat. Versprochen war Aufbruch, geliefert wurden Konflikte: Absturz 2017, Lizenzfragen, Machtgerangel.
Doch wer nur auf »den einen« zeigt, übersieht das System: Geld sucht Verwertung, Fußballvereine werden zu Vehikeln, um Rendite einzufahren. Ob Schweizer Holding oder lokale Größe – der Mechanismus bleibt derselbe. Kapitalinteressen unterwerfen sich den Fußball, Gremien verwalten den Mangel, die Fans bleiben Kundschaft im eigenen Haus. Das Ziel vieler Investoren ist offensichtlich: sportlicher Erfolg, um mit den »besseren« Klubs mitzuspielen. Nicht für den Verein, sondern um in Logen Kontakte zu knüpfen. Der Fußball wird zur Kulisse für Prestige und ökonomische Interessen.
Das ist kein Münchner Sonderweg, wie andere Beispiele belegen. In Hoffenheim wurde der Profifußball zum Privatprojekt, in Hamburg und Berlin verbrannten Investoren Millionen. Immer dieselbe Logik: Erst Aufbruchspoesie, dann Zahlungspläne – am Ende landet die Rechnung bei den Fans.
All das funktioniert nur, weil die Anhänger kooperieren. Die vielbeschworene »Sozialpartnerschaft« verschleiert die Interessengegensätze. Für den Verein übersieht man Machenschaften und wird zum willfährigen Jubellöwen. Die weiß-blaue Volksfront: in der Sache getrennt, in der Farbe vereint. Doch die Westkurve kann zur Gegenmacht werden. Schon heute stehen dort Menschen unterschiedlicher Lebensrealität Schulter an Schulter. Im Büro, auf dem Bau, im Schichtsystem. Zwischen Zaunfahnen und Doppelhaltern gibt es die Möglichkeit, den Intrigen der Finanzakteure etwas entgegenzusetzen.
Ihre Stärke liegt darin, die »Sozialpartnerschaft« aufzukündigen und klarzustellen: Es gibt keinen gemeinsamen Nenner zwischen Fans und Investoren. Was im Betrieb als Klassenkompromiss erscheint, kann auf den Rängen zu praktischer Solidarität werden. Die Westkurve weiß, wie kollektive Praxis funktioniert: Man stimmt sich ab, hält Linie, trägt gemeinsam. Sie ist Ausdruck proletarischer Kultur. Im Block zeigt sich, was im Alltag verdeckt bleibt: Solidarität erwächst aus der Masse selbst.
Der Sommer hat gezeigt: Das Kapital kann den Fans den Fußball nur rauben, wenn sie ihn kampflos hergeben. Ob daraus ein Bruch folgt, entscheidet sich in der Kurve.
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vom 30.10.2025