»Drill, baby, drill« im Amazonas
Von Norbert Suchanek
Brasiliens indigene Völker und Klimaschützer auf der ganzen Welt schlagen Alarm: Die brasilianische Umweltbehörde IBAMA hatte vor einer Woche die umstrittenen Erdölbohrungen durch den halbstaatlichen Petrobras-Konzern in der Amazonasmündung vor der Küste von Amapá erlaubt – nur wenige Tage vor der UN-Klimaschutzkonferenz COP 30 im amazonischen Belém. Die genehmigten Probebohrungen könnten ab sofort stattfinden und sollen fünf Monate dauern.
In einer öffentlichen Erklärung übt nun die Vereinigung der indigenen Organisationen des brasilianischen Amazonasgebiets (Coordenação das Organizações Indígenas da Amazônia Brasileira, COIAB) scharfe Kritik an der Entscheidung der dem Umweltministerium unterstehenden Behörde: »Dieses ausbeuterische Projekt schreitet voran, ohne die Stimmen, Rechte und die Existenz der indigenen Völker zu berücksichtigen, die die wahren Hüter und Verteidiger des Amazonaswaldes sind«, heißt es darin. Während die brasilianische Regierung von anderen Ländern ernsthaftere Klimaverpflichtungen fordere, investiere sie selbst in die Exploration fossiler Brennstoffe auf ihrem Territorium und trage damit zu einer der Hauptursachen der Klimakrise bei, heißt es von seiten der COIAB.
Indem die Bundesregierung von Lula da Silva und ihre Aufsichtsbehörden auf der Erdölausbeutung an der Mündung des Amazonas beharrten, missachteten sie die Autonomie und Selbstbestimmung der indigenen Völker und verletzten zudem das Recht auf vorherige, freie und informierte Mitsprache, heißt es in der Erklärung weiter. Die Entscheidung »gefährdet das Leben Tausender indigener Menschen«, setze ihre Territorien »schwerwiegenden sozioökologischen Auswirkungen« aus und stelle »eine Gewalttat gegen indigene Völker dar«, so der Indigenenverband.
Die Organisation verlangt von der brasilianischen Bundesregierung, auf die Erdölausbeutung in der Region zu verzichten. Die Zustimmung der Regierung sei »angesichts der Risiken, die dieses räuberische Projekt für indigene Gebiete, lokale Gemeinschaften und die ökologische Integrität des Amazonasgebiets darstellt« nicht verantwortbar. »Die Rechte derjenigen, die dieses Gebiet seit Jahrtausenden pflegen und darin leben, dürfen nicht ignoriert werden.« Das Erdölprojekt würde gleich mehrere indigene Stämme im Bundesstaat Amapá, dem Nordosten des Amazonasregenwalds, betreffen. So sind unter anderem die Völker der Karipuna, die Palikur-Arukwayene, Galibi Marworno und die Galibi Kali’na von den natürlichen Ressourcen der Flüsse und der Küstenregion abhängig. Deren Lebensgrundlagen sind bereits jetzt durch die Auswirkungen der ausufernden Waldrodungen und des illegalen Bergbaus gefährdet. Es steht zu befürchten, dass der Einzug der Erdölindustrie in die indigenen Stammterritorien die bestehenden Probleme weiter verschärfen wird.
Auch die Biodiversität würde nach Meinung von Umweltwissenschaftlern unter der geplanten Förderung von Erdöl leiden. Die Amazonasmündung beherbergt global einzigartige Tiefseekorallenriffe und eine große, bisher jedoch kaum erforschte Anzahl anderer Meereslebewesen. Ein mögliches Austreten von Öl könnte das fragile Ökosystem irreversibel schädigen. Auch ohne einen schwerwiegenden Unfall könnten die bei der Ölförderung passiv ausgestoßenen Schadstoffe den Fischbestand und somit die Lebensgrundlage der indigenen Fischer gravierend beeinträchtigen, so die Meinung des Ozeanologen Gustavo Moura von der Bundesuniversität Pará. Diese Küstenregion sei demnach eines der größten zusammenhängenden Mangrovengebiete der Welt, Lebensraum für zahlreiche Tierarten und Fortpflanzungsgebiet von Fischen und Krebsen – alles wichtige Faktoren für die Ernährungssicherheit der Menschen in dem Gebiet.
Einige der geplanten Erdölförderanlagen im Mündungsgebiet des Amazonas und im äquatorialen Randgebiet lägen zudem direkt im GARS, dem Großen Amazonischen Korallenriffsystem (Great Amazon Reef System), so Gustavo Moura. An diesen Orten könnte bereits die Installation von Ölplattformen gravierende Auswirkungen auf die Artenvielfalt im gesamten Westatlantik haben. Dafür müsste es nicht einmal zu einer Ölpest kommen.
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