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Aus: Ausgabe vom 25.10.2025, Seite 8 / Ansichten

Stay woke!

Razzia beim Publizisten Norbert Bolz
Von Nick Brauns
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Norbert Bolz auf einer Podiumsdiskussion am 7. Juni 2018 in Köln

Als US-Vizepräsident J. D. Vance im Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit in Europa behauptete, war die Empörung groß. Derweil scheinen staatliche Stellen hierzulande regelrecht bemüht, diese Behauptung durch Taten zu unterfüttern und damit Wasser auf die Mühlen der von Vance hofierten AfD zu leiten.

So durchsuchten am Donnerstag Polizisten die Wohnung des konservativen Medienwissenschaftlers Norbert Bolz. Der unter anderem für die Welt tätige Publizist hatte vor rund einem Jahr den Taz-Titel »AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht« auf X ironisch mit »Gute Übersetzung von ›woke‹: Deutschland erwache!« kommentiert. Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht darin die Verwendung einer verbotenen Naziparole.

Angestoßen hatte das Verfahren die Meldestelle »Hessen gegen Hetze«. Bekanntheit hatte diese Stelle im vergangenen Jahr erlangt, als es infolge ihrer Meldung zu einer Razzia bei einem fränkischen Rentner wegen »Volksverhetzung« kam. Der hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck einen »Schwachkopf« genannt. Angeschlossen ist die Meldestelle an das CDU-geführte hessische Innenministerium, das bis heute weder die Rolle seines Geheimagenten »Klein Adolf« beim NSU-Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel noch Polizeiversäumnisse beim rassistischen Hanau-Massaker 2019 aufklären konnte.

Ein Gericht habe die Durchsuchung seiner Wohnung und seines Büros sowie die Beschlagnahme seiner Handys wegen Posts angeordnet, in denen er Israels Ministerpräsidenten Netanjahu wegen des Völkermordes in Gaza und Exbundeskanzler Scholz wegen Waffengeschenken an die Ukraine kritisiert hatte, berichtete dieser Tage der Publizist und frühere CDU-Abgeordnete Jürgen Todenhöfer. In der Regel keine Schlagzeilen machen derweil zahlreiche Hausdurchsuchungen bei oft migrantischen Aktivisten wegen palästinasolidarischer Äußerungen wie der Parole »From the river to the sea …«.

Im Zuge eines reaktionär-militaristischen Staatsumbaus auf dem Weg zur Kriegstüchtigkeit entfaltet sich hier ein Regime der Einschüchterung gegen unbequeme Stimmen. Angesichts obrigkeitsstaatlicher Tendenzen gilt es gerade von linker Seite, woke – also wachsam – zu sein. Auch dann, wenn ein unsympathischer Reaktionär wie Bolz ins Fadenkreuz eines hier wohl aus dem Ruder gelaufenen Staatsapparats gerät. Denn auf die Verteidigung der Meinungsfreiheit sind insbesondere die Arbeiter- und die Friedensbewegung angewiesen.

Im übrigen hat Friedrich Merz mit seinen jüngsten »Stadtbild«-Äußerungen die Stimmung gegen Migranten um ein Vielfaches mehr vergiftet, als es Bolz mit seinen Postings kann. Es darf bezweifelt werden, dass die staatlich finanzierten Petzstellen gegen »Hass und Hetze« bereits gegen den Kanzler tätig wurden.

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