Pfeifen gegen Sozialraub
Von Oliver Rast
Laues Lüftchen oder stürmischer Protest? Eins geht nur, wenn man es ernst meint. Bloß, meinen sie es ernst? Diesmal vielleicht? Nun, die Gewerkschaftsvorsitzenden von IG Metall und Verdi, Christiane Benner und Frank Werneke, haben Aktionen angekündigt, in der Freitagausgabe der Süddeutschen Zeitung (SZ). Wogegen? Gegen geplante Sozialkürzungen des »schwarz-roten« Bundeskabinetts. Denn der Merzsche »Herbst der Reformen« sei ein »Herbst der Grausamkeiten«.
Konkret: Sollte die Regierung bei Gesundheit, Pflege und Rente kürzen, den Achtstundentag aufweichen und mittels späterer Altersruhe faktisch Rentenklau betreiben – dann werde es Demonstrationen geben, freilich große. Weil: »Die Mehrheit der Menschen lehnt Einschnitte in den Sozialstaat ab«, betont Werneke. Benner pflichtet bei: Reform dürfe nicht bedeuten, den Ärmsten das Dach über dem Kopf wegzureißen. Und die Behauptung von Kanzler Friedrich Merz, Deutschland könne sich das Sozialsystem nicht mehr leisten, wies das Gewerkschafterduo zurück. Aus gutem Grund: Die Ausgaben für Erwerbslose und Bürgergeldempfänger seien im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nicht höher als vor 20 Jahren, und die Rentenausgaben sogar niedriger.
Aussagen, die Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) unterstützt – deshalb: »Wir brauchen eine breite Bewegung gegen die soziale Kälte der Regierung«, sagte das Fraktionsmitglied im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales am Freitag jW. Mehr noch, Kürzungsdrohungen seien Teil eines großangelegten Angriffs auf den Sozialstaat. Das sieht Pascal Meiser, gewerkschaftspolitischer Sprecher von Die Linke im Bundestag, ähnlich. Ohne Widerstand würden vor allem abhängig Beschäftigte die Folgen dieser Politik ausbaden müssen.
Was meinen Kapitalverbände? Eine Sprecherin des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) verweist gegenüber jW auf »die Kolleginnen und Kollegen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände«. Themen rund um Anliegen der Belegschaften, Sozialversicherungen, Tarifpolitik und dergleichen würden dort verantwortet. Diese hatten aber keine Zeit für den Autor. Verantwortungslos. Aussagebereiter hingegen Bosse aus der Chemiebranche. Eine »Reform des Sozialstaats« sei dringend nötig, noch mehr Sozialabgaben würden Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze gefährden, meinte Sebastian Kautzky, Geschäftsführer Kommunikation beim Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC), auf jW-Nachfrage. Ja, Arbeitstage müssten flexibler werden, orientiert an einer Wochenarbeitszeit. Prüfbar zudem: eine Kopplung des Renteneintritts an die Lebenserwartung.
Was nun? Rabatz? Fakt ist: Ist der Klassenkonflikt entschärft, lauert überall die sozialpartnerschaftliche Falle. Beispiel: »Arbeitgeber und Gewerkschaften verfolgen letztlich ein gemeinsames Ziel«, so Alexander Schirp, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, auf jW-Anfrage. Welches? »Sichere Arbeitsplätze, starke Wirtschaft, gute Perspektiven für die Menschen in unserem Land«. Und nicht zuletzt gehe es um »unsere Verteidigungsfähigkeit« – wegen »unserer geopolitischen Herausforderungen«.
Das beschäftigt gleichfalls Benner und Werneke. Der Staat brauche höhere Einnahmen, erklärten beide in der SZ. Wie? Vermögenssteuer für Superreiche und Bürgerversicherung, in die alle einzahlen. Mehr Geld würde aber auch benötigt »für innere Sicherheit und Verteidigung«. Stopp – dafür protestieren? Nie. Gegen Sozialraub und Krieg? Stürmisch!
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