Zeugnisverweigerungsrecht
Von René Lau
Zu Coronazeiten war ich davon überzeugt, dass nach der Pandemie unsere Stadien nie wieder so voll sein werden wie vorher. Die Jugend würde sich andere Beschäftigungen suchen, aber kaum noch begeistert in ein Fußballstadion gehen. Zu sehr schreckte uns alle ab, wie der Fußball seine hässliche Kommerzfratze zeigte. Aber irren ist menschlich. Der Fananwalt lag falsch. Insbesondere junge Fans bevölkern wieder die Stadien, als gäbe es kein Morgen mehr. Keinen freut das mehr als mich.
Auch für mich gab es in Jugendjahren nichts Schöneres als den Duft von Bier und Bratwurst und die Enge auf den Stehplätzen. Noch heute genieße ich es insbesondere in den Niederungen des Fußballs, wo alles noch ursprünglich ist und nicht jeder Freistoß von der örtlichen Sparkasse präsentiert wird. Aber einen Unterschied zu meiner Fußballjugend gibt es doch. Während wir damals mit unserem Fanleben alleingelassen wurden, gibt es heute etwa die Fanprojekte. Unabhängige Institutionen, die weder einem Verein angehören noch gegenüber dem Verband verantwortlich sind. Sie agieren völlig autark, und die Mitarbeiter können sich als ausgebildete Sozialarbeiter ihrer Arbeit widmen, der Betreuung von jungen Fußballfans. So finden viele in ihnen Vertrauenspersonen und nicht selten werden die Räume des Fanprojekts ein zweites Zuhause. Aber die Fanprojektler haben kein Zeugnisverweigerungsrecht wie die Sozialarbeiter in anderen Bereichen. Seit Jahren wird dafür gekämpft.
Drei Mitarbeitern des Fanprojekts Karlsruhe wurde dies vor einiger Zeit zum Verhängnis. Das Amtsgericht Karlsruhe verurteilte sie wegen Strafvereitelung, da sie trotz des fehlenden Zeugnisverweigerungsrechts nicht in einem Strafverfahren gegen Fußballfans aussagten. In der letzten Woche gab es die Hauptverhandlung in der Berufung. Eine Überraschung: Das Verfahren wurde gegen alle drei eingestellt. Wenn man weiß, dass eine Einstellung nur mit Zustimmung aller, also auch der Staatsanwaltschaft, geht, ist das ein großer Erfolg. Es ist aber auch ein deutliches Zeichen an die Politik. Es muss endlich ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiter in der sozialen Arbeit her. Nur so können sie ihrer wichtigen Arbeit nachgehen. Eine Änderung der Strafprozessordnung kostet praktisch kein Geld und bringt mehr für die Sicherheit im Fußball als jede neue Überwachungskamera und jeder neu angeschaffte Wasserwerfer.
»Sport frei!« vom Fananwalt.
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