Die Konkurrenz schläft nicht
Von René Hamann
Die erste Runde bei den Erste Bank Open, dem sympathischen ATP-500-Turnier in der Stadthalle Wien, hatte Filip Misolic noch überstanden. Nun könnte die Frage aufkommen, wer ist Filip Misolic? Nun, ein bislang nicht übermäßig erfolgreicher Tennisspieler aus Graz, der hier in Wien nur über eine Wildcard ins Turnier kam (er ist aktuell die Nummer 95 der Weltrangliste, zu niedrig für die direkte Qualifikation bei einem gut besetzten 500er), und dann aber recht ansehnlich gegen den Argentinier Camilo Ugo Carabelli (immerhin die Nummer 50) in einem interessanten Match am Dienstag mit 7:5, 7:6 gewann.
Der 24jährige Misolic könnte durchaus noch die Zukunft des österreichischen Tennis sein, das nach Dominic Thiems Abgang recht brachliegt. Vier Challenger hat er bereits gewonnen, in Kitzbühel schaffte er es einmal ins Finale. Im Spiel gegen Carabelli sah man sowohl, woran es ihm noch mangelt, als auch, was seine Stärken sind: plaziertes, druckvolles Spiel vor allem mit der Vorhand. Dagegen immer mal wieder leichte Fehler, Unkonzentriertheiten. Einen 4:0-Vorsprung im ersten Satz schenkte er eher leichtfertig her, nur um nach dem 5:5 wieder sein bestes Tennis auszupacken. In der nächsten Runde wartete allerdings am Mittwoch abend mit Alex de Minaur ein wesentlich unbequemerer Gegner. Der australische Weltranglistensechste schlug dann den Österreicher auch glatt 6:4, 6:4.
Die Zukunft des deutschen Tennis ist eigentlich auch schon wieder seine jüngste Vergangenheit, um es einmal so auszudrücken. Die Rede ist natürlich von Alexander Zverev. Nach ihm und neben ihm gibt es nicht viele. Am Dienstag zeigte er in seinem Erstrundenmatch gegen den Qualifikanten Jacob Fearnley aus Großbritannien wieder seine zwei Seiten: sowohl die Stärken als auch die Schludrigkeit. Zverev gewann mühsam in drei Sätzen, am Schluss sehr knapp 7:5 im Tiebreak. Mal sehen, wie weit er bei diesem Turnier kommen kann, das neben dem ebenfalls in dieser Woche stattfindenden 500er in Basel das letzte vor dem Masters 1000 in Paris ist.
Zverev ist, man weiß es, einer der Protagonisten der verlorenen Generation zwischen der Dominanz der Fab Four bzw. Fab Three, je nachdem, ob man Andy Murray als vierten Musketier dazuzählen möchte oder nicht (für Murray war der Sieg beim Turnier in Wien 2016 eine Station zur Weltranglistenspitze, an der er am Ende jenes Jahres stand), und der des infernalischen Duos Sinner/Alcaraz. Etwas Trauriges umgibt diese Spieler der Generation der Ende der 90er Jahre Geborenen bei jedem ihrer Auftritte: Stefanos Tsitsipas zum Beispiel geisterte am Dienstag missmutig durch das Gebäude, ehe sein Rückzug aus dem Turnier wegen einer Verletzung bekannt wurde.
In Wien taucht diese verlorene Generation immer wieder gerne auf. Vielleicht, weil es so ein Wohlfühlturnier ist. Es ist bestens organisiert, liegt relativ mitten in der Stadt. In der Halle selbst ist es dunkel, aber atmosphärisch. Drum herum verläuft es sich nicht so wie in anderen Mehrzweckhallen. Sport und Marketing halten sich halbwegs die Waage. Das Publikum ist durchaus auch fein gekleidet, kann sowohl fair sein als auch anfeuernd. Der Kontrast zu den schwitzenden Gladiatoren unten auf dem, was früher einmal ein Teppich war, nivelliert sich mit der Qualität des Spiels.
Ebenso am Start wie Zverev sind der ewige Alexander Bublik und der Sieger von 2022, Daniil Medwedew, der unlängst mit dem Sieg beim 250er in Almaty seine lange Serie der Erfolglosigkeit beenden konnte. Der ewige Andrei Rubljow hingegen verlor an sieben gesetzt bereits in der ersten Runde. Titelverteidiger Jack Draper kann dieses Jahr aufgrund einer langwierigen Verletzung nicht an den Start gehen.
Freie Bahn also für Jannik Sinner, den Sieger von 2023. Sein Counterpart Carlos Alcaraz ist nicht nach Wien gekommen. Aber schauen wir mal. Im »Race to Turin« ist die Sache schon geritzt. Auch Zverev kann sich als Nummer vier im Race mit über 4.000 Punkten schon auf den letzten Saisonhöhepunkt einstellen. Medwedew und Bublik müssen sich hier in Wien hingegen noch mal richtig ein Bein ausreißen, wollen sie am Ende noch zu den besten Acht des Jahres zählen und nach Turin fahren. Auf die aktuelle Nummer acht im »Race«, Lorenzo Musetti (in Wien an vier gesetzt), haben sie noch gut 1.000 Punkte Rückstand. Eine Menge Holz. Die Konkurrenz schläft nicht, Stefanos Tsitsipas ausgenommen.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Sport
-
Zeugnisverweigerungsrecht
vom 24.10.2025