»Zentrum« im Personalrat
Von Spyro Marasovic
Wenn man an Arbeitskampf in Deutschland denkt, dann fallen einem zumeist die klassischen DGB-Gewerkschaften ein. Sie beziehen sich auf die sozialistischen Gewerkschaften des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, haben sich aber von deren politischer Ausrichtung in Richtung gemäßigte Sozialdemokratie verabschiedet. Doch der gesamtgesellschaftliche Rechtsruck macht auch vor den Gewerkschaften nicht halt. Die Unterstützung der abstimmenden Gewerkschaftsmitglieder (DGB) für die Gesamtsozialdemokratie (SPD + Linkspartei) schmolz von 62 Prozent im Jahr 1998 auf 31 Prozent bei der letzten Bundestagswahl zusammen. Mittlerweile kommt ein Rechtsblock aus CDU und AFD auf gut 45 Prozent Zustimmung. Das bildet sich auch in der deutschen Gewerkschaftslandschaft ab.
Innerhalb der letzten Jahre ist der eingetragene Verein »Zentrum« (ehemals Zentrum Automobil), der sich selbst als alternative Gewerkschaft bezeichnet, in mehreren betriebspolitischen Auseinandersetzungen (vor allem in Baden-Württemberg und Sachsen) aufgetreten. Er wurde 2009 von Oliver Hilburger gegründet, der sich in rechtsradikalen Kreisen bewegte und daher von seinen Ämtern in der CGM (Christliche Gewerkschaft Metall) zurücktreten musste. In den folgenden Jahren war »Zentrum« im Kontext des Compact-Magazins aktiv, pflegte den Kontakt zu Verschwörungsideologen und besuchte AfD-Politiker im Bundestag. Auch andere extrem rechte Kleinstparteien wie »Freie Sachsen« oder »Die Heimat« überschneiden sich mit »Zentrum« personell. Ihren Gegner sieht die Vereinigung in den DGB-Gewerkschaften, die nur ein »Sprachrohr der Altparteien« wären und die Interessen ihrer Mitglieder nicht mehr angemessen vertreten würden, wie es auf der Pressekonferenz zur Eröffnung des Regionalbüros Nord-West von einem der Redner namens Jens Keller hieß.
Keller ist ehemaliges IG-Metall- und Verdi-Mitglied sowie Ratsherr für die AfD in Hannover und soll »Zentrum« nun auch in Norddeutschland verankern. In seiner Funktion als Verdi-Mitglied war Keller zuvor Vertrauensmann beim hannoverischen Entsorger Aha (Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover). Wegen seiner AFD-Mitgliedschaft geriet er bei Verdi intern in die Kritik, Verdi versuchte ihn von seinem Posten zu entfernen und auszuschließen. Ein Verfahren, welches das Landgericht Berlin II schließlich im Januar 2025 zu Kellers Gunsten entschied. Bei den Personalratswahlen 2024 hatte Keller ein ungewöhnlich hohes Ergebnis mit 626 Stimmen (ca. 47 Prozent) erhalten. Seitdem vertritt er die Interessen von rund 2.000 Beschäftigten im 15köpfigen Personalrat von Aha. Anfang des Jahres verließ Keller freiwillig Verdi und wechselte zu »Zentrum«. Dort ist er Regionalleiter für das Büro Nord-West.
In der öffentlichen Darstellung nehmen Keller und das neue Büro eine zentrale Stellung ein. Das steht in Diskrepanz zur Betriebspolitik bei Aha. Trotz der Popularität von Keller und seines Wahlerfolgs ist eine wirkmächtige Verankerung im Betrieb bisher nicht gelungen. Im Personalrat befindet sich Keller in einer eindeutigen Minderheitenposition gegenüber den Verdi-Personalräten. An konkreten Projekten mangelt es. Laut Arno Peukes, zuständiger Verdi-Sekretär für Aha in Hannover, war schon das außergewöhnliche Wahlergebnis von Keller nicht auf genuin inhaltliche Zustimmung der Beschäftigten zurückzuführen, sondern Ergebnis der medialen Bekanntheit Kellers als Ratsherr und der Debatte, die später durch das Ausschlussverfahren bei Verdi verstärkt wurde. Auf zahlreichen Stimmzetteln wurde nur Keller ausgewählt, was laut Peukes eher auf einen Akt der Solidarität von Kollegen hindeutet als auf politische Zustimmung aufgrund erfolgreicher Betriebspolitik. Auch wenn »Zentrum« sich bei gebotener Gelegenheit bemüht, auf die bisherigen Erfolge zu verweisen, ist der Verein bei weitem nicht in der Lage, Arbeitskämpfe zu führen und effektiv Tarifpolitik zu betreiben. Einstweilen versucht »Zentrum« den Wirkungsgrad zu erweitern und über Polarisierung in Betrieben Einzelerfolge einzufahren. Der Fall Keller steht dafür exemplarisch.
Diese Entwicklungstendenz lässt sich auch in der veränderten Taktik des Vereins »Zentrum« beobachten. Dessen politischer Ansatz lässt sich in zwei Phasen aufteilen. In der ersten Phase (2009 bis ca. 2015) positionierte sich »Zentrum« vor allem gegen klassenkämpferische Tarifpolitik und hob die Kooperation von »Arbeitgeber und Arbeitnehmer« im Betrieb hervor. Von dieser Praxis ist »Zentrum« (seit ca. 2015) abgerückt und konzentriert sich zunehmend auf die Zersetzung der »Monopolgewerkschaften« des DGB. Darauf angesprochen, gab »Zentrum« an, in der gegebenen Frist nicht sachgemäß antworten zu können. Ob diese Taktik längerfristig Erfolg haben wird, werden die Betriebsratswahlen im nächsten Jahr zeigen.
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