Gegen den Stillstand
Von Carmela Negrete
Es gibt nicht mehr allzu viele Kooperationsprojekte zwischen der Bundesrepublik und Russland. Allein deshalb ist die Ausstellung, die am 17. Oktober unter dem Titel »Wenig bekannte Seiten des Widerstands« im Russischen Haus in der Friedrichstraße in Berlin eröffnet wurde, etwas besonderes. Recherchiert und kuratiert wurde sie vom deutschen Kunstwissenschaftler Christian Hufen, der dafür in mehreren Ländern forschte und sich bei der Eröffnung »über die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit russischen Kollegen« freute.
Seit seinem Studium hat Hufen, wie er erzählte, immer wieder Moskau besucht und enge Beziehungen geknüpft. Weiter bekannt waren bisher nur einige Russen, etwa Alexander Schmorell, der Mitglied der Gruppe »Weiße Rose« gewesen ist. Nun zeigt die Recherche, dass es noch viele weitere Fälle gab, die bedingt durch fehlende Forschung und fehlende Förderung von Forschung bislang unbekannt geblieben waren. Hufen beobachtet einen »Stillstand« der Forschung im Bereich des Widerstands gegen die Hitlerfaschisten seit dem Ende der DDR. Für seine Recherchen besuchte er mehrere Zentren in der Bundesrepublik und Russland.
Die Ausstellung widmet sich einem Bereich des Widerstands gegen den deutschen Faschismus, der noch heute kaum Beachtung findet – über die bekannten Fälle, Stauffenberg und Co, hinaus, dem Widerstand nämlich aus der Perspektive von Russen, die im Nazireich lebten. So erfährt der Besucher etwa einiges über das Leben von Alexander Neroslow, der zunächst an der Russischen Revolution teilnahm und Mitglied der Partei der Sozialrevolutionäre war. Später kam Neroslow als Architekturstudent nach Dresden, wurde Maler und Leiter der örtlichen russischen Bibliothek. Er gründete die Gruppe »Dresdner ASSO« mit, die der Kommunistischen Partei nahestand. Da er kein sowjetischer Staatsangehöriger war und lediglich einen sogenannten Nansenpass für Staatenlose und Emigranten hatte, konnte er der KP nicht beitreten, blieb so aber vom Konzentrationslager verschont.
Er und seine Frau Gertrud nahmen dennoch an Widerstandsaktionen teil und halfen inhaftierten Genossen. Die Neroslows sammelten während des Spanischen Bürgerkriegs auch Spenden für die Volksfront. 1941 wurden sie verhaftet und ein Jahr später vom »Volksgerichtshof« zu lebenslanger Haft verurteilt. Andere Mitglieder ihrer Gruppe wurden zum Tode verurteilt.
Doch nicht alle waren Linke – die Ausstellung zeigt auch, dass es antikommunistische Kräfte gab, die sich gegen den den Nazistaat wandten. So etwa Sergej Tschachotin, Mediziner und Forscher, der neben seiner Spitzenrecherche politisch wurde und zusammen mit dem Sozialdemokraten Carlo Mierendorf den berühmten »Dreipfeil« entwarf. Das Emblem der »Eisernen Front« stand für die Verteidigung der Weimarer Republik gegen reaktionären Konservatismus, den Hitlerfaschismus, aber auch gegen den Kommunismus.
Tschachotin wurde wegen seiner politischen Tätigkeit aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ausgeschlossen und musste ins Exil. In Frankreich wurde er erst interniert, kam aber wieder frei, weil Wissenschaftler aus Deutschland sich für ihn einsetzten. In den 1960er Jahre kehrte er in der Sowjetunion zurück und leitete dort Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften.
Nicht alle überlebten. Dmitri Timofejew-Resowski, Sohn des bekannten sowjetischen Genetikers Nikolai, starb im Konzentrationslager Ebensee. Der junge Mann hatte sich dem »Berliner Komitee der Partei der Bolschewiki« angeschlossen, das aus kriegsgefangenen Soldaten der Roten Armee bestand und Flugblätter herstellte, die zur Sabotage der Kriegswirtschaft aufriefen. Er war von einem Mitbewohner verraten worden.
Frauen sind auch präsent: Liane Berkowitz, Tochter eines jüdischen Paares aus der Sowjetunion. Bekannt ist, dass sie sich an einer Klebezettel-Aktion beteiligte, die sich gegen die Nazi-Ausstellung »Das Sowjetparadies« richtete. Später gab es noch einen Brandanschlag gegen die antikommunistische Propagandaschau, Berkowitz wurde am 6. August in Plötzensee hingerichtet, zusammen mit ihren Freunden der »Roten Kapelle«.
Die Ausstellung ist noch bis zum 31. Juli 2026 im Tschechow-Saal des Russischen Hauses zu sehen.
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