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Aus: Ausgabe vom 21.10.2025, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

»Was da auf den Müll flog, machte mich fassungslos«

Die Deutsche Hochschule für Körperkultur wurde Ende 1990 abgewickelt. Am Mittwoch wäre sie 75 geworden. Ein Gespräch mit Jürgen Krug
Von Andreas Müller
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Speerwerferskulptur vor dem Gebäude der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig

Am 22. Oktober dieses Jahres wäre die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig 75 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass lädt Professor Gregor Hovemann, Dekan der Sportwissenschaftlichen Fakultät an der Leipziger Universität, zu einer Jubiläumsveranstaltung. Die Hochschule musste am 31. Dezember 1990 schließen. Was gibt’s da noch zu feiern?

Das Jubiläum basiert auf zwei Säulen. Zum einen erhielt Anfang Oktober 1925 an der Universität Leipzig Hermann Altrock als erster eine sportwissenschaftliche Professur in Deutschland. Zweitens eröffnete am 22. Oktober 1950 die DHfK, die bereits fünf Jahre später das Promotionsrecht erhielt und in Walter Ulbricht einen großen Fürsprecher hatte. Er stammte ja aus Leipzig, kam aus dem Arbeitersport und war dem Sport insgesamt sehr verbunden.

Bis zu ih­rem Ende hatten an dieser weltweit anerkannten Institution rund 14.000 Studenten ein Diplom erhalten. Hinzu kamen seit 1965 zirka 2.400 Absolven­ten aus 93 Ländern. Sie selbst, Ende August 81 Jahre alt geworden, sind der beste Zeitzeuge. Sie haben Ihr Studium an der DHfK 1970 beendet, dort gelehrt und wissenschaftlich gearbeitet. Wie nahe ging es Ihnen, als die sächsische Landesregierung die DHfK abschaltete?

Noch heute sehe ich vor mir das Bild, wie auf dem Campus, der stets voll studentischen Lebens war, plötzlich eine gespenstische Atmosphäre herrschte. Es war nicht nur die DHfK und ihr Sportcampus, die verschwanden. Zeitgleich wurde das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) abgewickelt, zusammen mit den wissenschaftlichen Zentren verschiedener Sportverbände, die es hier gab. Deren Büros mussten in kürzester Zeit geräumt werden. Unten standen große Container, in denen Filmaufnahmen, Archivalien und wissenschaftliches Material entsorgt wurden. Zum Beispiel Belegarbeiten, in denen die besten Trainer regelmäßig ihr Spezialwissen niedergeschrieben hatten. Was da auf den Müll flog, machte mich fassungslos.

Sven Baumgarten, selbst DHfK-Absolvent, rannte ab April 1990 als Referatsleiter Leistungssport im DDR-Ministerium für Jugend und Sport von Pontius zu Pilatus, um diese Institution zu retten. Vergeblich. An der Deutschen Sporthochschule in Köln wird man’s mit Behagen registriert haben.

Das kann schon sein. Es wurde später immer wieder kolportiert, dass von dort aus an den Entwicklungen in Leipzig mitgedreht worden ist. Das Ende der DHfK war damals in erster Linie eine politische Entscheidung. Die Fragen danach, ob das sinnvoll gewesen ist, kamen erst viel später auf.

Ab März 1991 wurde daran gebastelt, eine sportwissenschaftliche Fakultät an der Leipziger Universität zu etablieren, die am 8. Dezember 1993 ihren Betrieb aufnahm. Sie gehörten damals zu den Gründungsvätern, waren von 2002 bis 2010 sogar deren Dekan. Wieviel von der DHfK ging in diese neue Struktur ein?

Es war eine sehr schwierige Geburt. Die Leipziger Universität musste in dieser Phase rund die Hälfte ihres Personals reduzieren – und nun kamen unter dieser Maßgabe noch Fakultäten wie unsere oder die erziehungswissenschaftliche hinzu. Das brachte harte personelle Einschnitte mit sich. Von den rund 1.000 DHfK-Mitarbeitern blieben unter dem neuen Dach gerade mal rund 50 übrig. Anders war es bei den Studierenden. Davon gab es an der DHfK pro Studienjahr rund 200, die Hälfte davon im Direktstudium und die andere Hälfte im Fernstudium. Diese Gesamtzahl hatte sich an der Sportfakultät später ganz ähnlich eingependelt. Wobei uns bei der Ausbildung ein Netz an Kooperationen mit anderen Fakultäten zugutekam. Das half sehr, personelle Engpässe auszugleichen. Mit den Erfahrungen der DHfK wurde auch der leistungssportliche Aspekt berücksichtigt, und die Fakultät hat im Laufe der Jahre so bestimmt um die 300 Trainer hervorgebracht. Nur konnten wir anschließend nicht mehr nachvollziehen, ob sie tatsächlich in diesem Metier gearbeitet haben.

Das war bei den DHfK-Absolventen anders …

Im Fachgebiet Leistungssport waren es sämtlich Diplomsportlehrer, die als Trainer eingesetzt wurden. So wurde das System von den Trainingszentren über die Kinder- und Jugendsportschulen bis zu den Sportvereinen sozusagen aus einer Quelle gespeist. Eine besondere Stärke bestand darin, dass die Hälfte der DHfK-Absolventen in der ersten Förderstufe zum Einsatz kam, also in der Arbeit mit den Talenten, mit Kindern und Jugendlichen, einer Altersgruppe, für die besonders gut ausgebildetes Personal unerlässlich ist. Genau das habe ich jahrelang zum Beispiel den Mitgliedern der Kultusministerkonferenz im Zusammenhang mit den Sportangeboten im Rahmen der Ganztagsschule vorgetragen. Wenn der Sport dieses Loch ausfüllen soll, um bei Heranwachsenden den Spaß an Sport und Bewegung zu fördern und zugleich Talente zu sichten, dann braucht es dafür unbedingt geschultes Personal.

Bald werden sich auch die letzten DHfK-Absolventen, falls sie überhaupt noch im Leistungssport beschäftigt sind, in den Ruhestand verabschieden. Wie kann dieser Aderlass kompensiert werden? Noch dazu, wo die Trainerzunft über schlechte Bezahlung außerhalb jeder Tarifbindung klagt.

Seit Jahren wird eine »Traineroffensive« nach der anderen inszeniert, ohne das Kernproblem zu lösen: Trainer über einen längeren Zeitraum sozial abgesichert und mit sicherer Berufsperspektive zu beschäftigen. Statt dessen wissen viele von ihnen nicht, ob und wie es im nächsten Jahr weitergeht. Und es gibt noch weitere Hausaufgaben: Es gilt zu ermitteln, wie groß der Bedarf bei den einzelnen Verbänden ist. Es gilt, die verschiedenen Ausbildungspfade gründlich zu sortieren. Sportlehrer mit einem akademischen Abschluss werden an über 60 Universitäten oder Instituten ausgebildet, doch insgesamt gibt es kein einheitliches System für die Trainerausbildung. Oft genug ist es so, dass Verbände, wenn es personell eng wird, sich mit Leuten behelfen, die bei ihnen eine C-, B- oder A-Lizenz erworben haben. Mit dem Gesamtniveau einer akademischen Trainerausbildung ist das nicht zu vergleichen.

Ab dem Wintersemester 2025/26 werden an der Uni Leipzig zunächst zwei Dutzend Studierende nach einem neuen Bachelormodell zielgerichtet auf ihre spätere Tätigkeit im Leistungssport vorbereitet. Ein spätes Eingeständnis, wie grundfalsch es war, die DHfK dichtzumachen?

Die Antwort darauf gab der sächsische Innen- und Sportminister Armin Schuster bereits Ende Mai. Anlässlich einer Pressekonferenz hatte er sinngemäß gefragt: Warum nicht dieses Erfolgsmodell der DDR wiederbeleben? Das ist doch deutlich.

Jürgen Krug (81) beendete sein Studium an der DHfK 1970, promovierte dort 1977 und habilitierte sich 1983. Seit 1997 lehrte und forschte er in Leipzig an der sportwissenschaftlichen Fakultät des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft. Seit 2012 ist er emeritiert. Unter anderem ist er Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Sportwissenschaft in Leipzig.

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