Nord-Stream-Anschläge: Italien liefert Verdächtigen vorerst nicht aus

Rom. Italien hat die geplante Auslieferung des angeblichen Drahtziehers der Anschläge auf die Nord-Stream-Gasleitungen nach Deutschland gestoppt. Das oberste italienische Gericht in Rom hob eine Entscheidung der Vorinstanz überraschend auf. Der Fall geht nun zurück an einen anderen Gerichtshof, der neu beschließen muss. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 49 Jahre alten Ukrainer gemeinschaftliches Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und »verfassungsfeindliche Sabotage« vor. Der Kassationshof in Rom begründete seine Entscheidung nach Angaben des Anwalts des Ukrainers, Nicola Canestrini, damit, dass nach der Festnahme des 49jährigen im August während des juristischen Verfahrens dessen Rechte verletzt worden seien. Deshalb müsse ein anders zusammengesetztes Gericht über den Auslieferungsantrag neu entscheiden. Die schriftliche Begründung des Beschlusses wird voraussichtlich erst in einigen Tagen vorliegen.
Der Ukrainer namens Serhij K. war im Sommer an der italienischen Adriaküste festgenommen worden, wo er mit seiner Familie Urlaub machte. Offenbar rechnete er nicht damit, dass ihm eine Festnahme drohen könnte. Derzeit sitzt er im Norden Italiens in einem Hochsicherheitsgefängnis. Sein Anwalt kündigte an, möglicherweise einen Antrag auf Freilassung zu stellen.
Der Anschlag gegen die Nord-Stream-Pipelines – der schwerste Angriff auf die deutsche Energieversorgungsinfrastruktur seit dem Zweiten Weltkrieg – hatte im September 2022 weltweit Aufsehen erregt. Nach ersten Schuldzuweisungen Richtung Russland präsentierten deutsche Behörden schließlich eine in die Ukraine führende Spur. Für den Transport des Sprengstoffes soll das siebenköpfige Kommando eine 15 Meter lange Segelyacht benutzt haben. Tauchexperten haben die Version, laut der ein so kleines Kommando von einem so kleinen Schiff aus mit der dafür nötigen tonnenschweren Ausrüstung die ebenfalls tonnenschweren Sprengladungen in 90 Metern Tiefe bei schwerer See angebracht hat, allerdings als unglaubwürdig bezeichnet. Der US-Investigativjournalist Seymour Hersh vertrat 2023 unter Berufung auf eigene Quellen die Ansicht, von einem norwegischen Stützpunkt aus operierende US-Marinetaucher hätten die Sprengsätze angebracht. Von Vertretern dieser Version wird die »ukrainische Spur« als absichtlich falsch gelegte Fährte betrachtet, um von den eigentlichen Verantwortlichen abzulenken.
Am Freitag soll in Polen über die Auslieferung eines anderen, dort festgenommenen Verdächtigen entschieden werden. Der 46 Jahre alte Wolodimir Z. soll nach Ansicht der Bundesanwaltschaft einer der Taucher gewesen sein. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hatte vor einigen Tagen erklärt, es liege »sicherlich nicht im Interesse Polens«, »diesen Bürger anzuklagen oder an einen anderen Staat auszuliefern«. Wenig später machte er beim Kurznachrichtendienst X deutlich, dass der Anschlag auf die Pipelines seine Billigung findet: »Das Problem mit Nord Stream 2 ist nicht, dass sie gesprengt wurde. Das Problem ist, dass sie gebaut wurde.« (dpa/jW)
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