Es kann nur einen geben
Von Holger Römers
Zwar stehen im Straßenradsport noch ein paar traditionsarme Rennen bevor, die vor allem für jene Teams wichtig sind, die um die nächste dreijährige World-Tour-Lizenz bangen müssen. Doch für die meisten namhaften Fahrer hat die 2025er Saison spätestens am Wochenende geendet. Dabei hat der größte Star am Sonnabend noch einmal Rekorde aufgestellt, indem er zum fünften Mal in Folge dasselbe Monument gewann und im selben Jahr bei allen fünf Monumenten mindestens einen Podiumsplatz erreichte. Das heißt freilich auch, dass die 119. Lombardeirundfahrt die Dramaturgie der beiden vorangegangenen Sonntage wiederholte: Wie bei der WM und der EM ging Tadej Pogačar (UAE Team Emirates – XRG) als Topfavorit am schwersten Anstieg in die Offensive, worauf wieder eine lange Solofahrt des 27jährigen Slowenen folgte. Sein zwei Jahre jüngerer belgischer Hauptkonkurrent Remco Evenepoel (Soudal Quick-Step) fand sich derweil damit ab, erneut in einer kleinen Gruppe hinterherzufahren, bis er seinerseits ausriss und wiederum unangefochten den allmählich obligatorischen zweiten Platz errang.
Um so dankbarer musste man Quinn Simmons (Lidl – Trek) dafür sein, über weite Strecken des 241 Kilometer langen Rennens fast alleine für Spannung gesorgt zu haben: Er setzte nämlich, kaum dass am Stadtrand von Como der fliegende Start erfolgt war, sogleich zu einem veritablen Sprint an, dem nur eine Handvoll Fahrer folgen mochte. Die bildeten mit dem 24jährigen US-Meister dann den Kern einer bald 14köpfigen Ausreißergruppe, die noch drei, vier andere Prominente umfasste. Dazu gehörte Zeitfahrspezialist Filippo Ganna (Ineos Grenadiers), der Pogačar bei Mailand–Sanremo – und mithin beim ersten, allerdings deutlich flacheren Monument des Jahres – Paroli geboten hatte.
Der gemeinsame Vorsprung beschränkte sich jedoch auf kaum drei Minuten, weshalb Simmons sich 82 Kilometer vor dem Ziel genötigt sah, die verbliebenen Begleiter abzuschütteln. Zwischenzeitlich fuhr er gegenüber dem Peloton eine weitere halbe Minute heraus – weshalb man spekulieren mag, ob er sich womöglich über den Passo di Ganda hätte retten können, wenn nicht die Mannschaft Red Bull – Bora – Hansgrohe früh ihre Kräfte verschleudert und UAE Team Emirates – XRG bei der Nachführarbeit entlastet hätte. So wurde Simmons noch vor dem steilsten Abschnitt des gut 1.000 Meter hohen Alpenpasses, von dem es noch 31 Kilometer bis ins Ziel waren, vom späteren Sieger eingeholt und in Bergamo schließlich – hinter dem 28jährigen Australier Michael Storer (Tudor Pro Cycling Team) – Vierter.
Die 119. Austragung von Paris–Tours war dagegen bis zum letzten von insgesamt 211 Kilometern unvorhersehbar. Der einstige Sprinterklassiker hat seine Identität gewechselt, seit 2018 Schotterabschnitte in den Parcours aufgenommen wurden. Sie verursachten am Sonntag die gewohnten Pannen, die einige Favoriten um Siegchancen brachten. Die fürs Finale entscheidenden Szenen ereigneten sich aber alle auf Asphalt: So fuhr das geschrumpfte Peloton auf einer welligen Landstraße, als Paul Lapeira (Decathlon AG2R La Mondiale Team) und Thibaud Gruel (Groupama – FDJ) 36 Kilometer vorm Ziel ausrissen. Die jungen Franzosen hatten bald eine Dreiviertelminute Vorsprung, bevor ihr Landsmann Christophe Laporte (Team Visma – Lease a Bike) durch eine Beschleunigung – nach einer Schotterpassage – eine fünfköpfige Verfolgergruppe initiierte. Der 32jährige Vorjahressieger war abgeklärt genug, die Bremswirkung Stefan Bisseggers in Kauf zu nehmen, der zugunsten seines Kollegen Lapeira jede Führung verweigerte. Statt dessen investierte der 36jährige Italiener Matteo Trentin (Tudor Pro Cycling Team) anteilig Kräfte, um eine etwaige Wiederholung seiner Siege von 2015 und 2017 zu ermöglichen. Und der 17 Jahre jüngere Däne Albert Withen Philipsen (Lidl – Trek) trug ebenso bereitwillig zur Nachführarbeit bei, wobei er wohl im Dienst des Kollegen Mathias Vacek stand – bis der eine weitere Beschleunigung Laportes an einem knackigen Hügel nicht mehr parieren konnte.
Ungeachtet dessen wären die Ausreißer nie eingeholt worden, wenn sich nicht beide zuletzt geweigert hätten, den Zweiersprint zu eröffnen – der folgerichtig zum Sechsersprint wurde. Danach konnte Philipsen sich als Dritter über ein weiteres hochrespektables Ergebnis im ersten Profijahr freuen, während Laporte seinen zweiten Platz immerhin als Bestätigung betrachten mochte, eine lange Viruserkrankung endgültig überwunden zu haben. Trentin gehört indes fortan zu den Rekordsiegern eines der wenigen bedeutenden Rennen, die Eddy Merckx nie gewonnen hat – und Pogačar auch noch nicht.
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