Junkerland in Bauernhand
Von Max RodermundVor rund 80 Jahren, vom 3. bis 11. September 1945, wurde von den Landesregierungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Durchführung der Bodenreform beschlossen. 3,3 Millionen Hektar Land von Nazi- und Kriegsverbrechern, Junkern und Großgrundbesitzern wurden entschädigungslos enteignet. Damit stellt die Bodenreform die tiefgreifendste Zäsur zur Demokratisierung der Agrarverhältnisse in der deutschen Geschichte dar. Sie beendete die wirtschaftliche und kulturelle Herrschaft feudaladliger und agrarkapitalistischer Großeigentümer auf dem Land. Die Bedeutung dieses historischen Einschnitts ergibt sich aus der spezifischen Entwicklung der landwirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland.
Feudalkapitalismus
Die Entwicklung von feudalen zu bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen auf dem Land vollzog sich in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts anders als beispielsweise in England und Frankreich relativ spät, nur sehr allmählich und ohne radikalen Sturz des Feudaladels, sondern unter dessen Kontrolle.
In dieser, als preußischer Weg bezeichneten Entwicklung verband sich die Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise mit den Elementen feudaler Unterordnung. Die Lebens- und Rechtsverhältnisse der verschiedenen bäuerlich arbeitenden Schichten veränderten sich, ihre ökonomischen und sozialen Abhängigkeiten zur Grundherrschaft aber blieben bestehen. Es entstand eine Schicht freier, bei den Grundherren meist hochverschuldeter Klein- und Mittelbauern; Gesinde und Insten (die ehemaligen Dienstknechte der Gutsherren ohne eigenes Land) wurden zur neuen Schicht der Landarbeiter, der Grundherr selbst wandelte sich zum Großagrarier und Verpächter.
Gesindeordnungen, die mancherorts noch bis 1919 in Kraft blieben und auch darüber hinaus noch Anwendung fanden, unterwarfen die Arbeiter der Herrschaft der Gutsherren und verboten den Landarbeitern und zu Diensten Verpflichteten jegliche politische und gewerkschaftliche Organisierung. Bis 1927 übten Gutsherren faktisch die Verwaltung und polizeiliche Kontrolle in ihren Gutsbezirken aus.
Die Verhältnisse auf dem Land entwickelten sich dabei in Deutschland regional und zeitlich uneinheitlich. Linksrheinisch wurden bereits mit der Französischen Revolution Leibeigenschaft und Frondienste hinweggefegt. In Mittel- und Süddeutschland, zwischen Rhein und Elbe, bestanden Parzellenwirtschaften von Klein- und Mittelbauern, die mit Pachtverträgen an die Besitzer großer Ländereien gebunden waren. Ostelbisch führte die Befreiung zu umfangreichen Landabtretungen an die Gutsherren. So entstand der typische junkerliche Großbesitz. Die ohnehin schon sehr ungleiche Verteilung des Ackerlandes verschärfte sich dadurch noch: Die Klein- und Mittelbauern mussten für ihre Befreiung von den feudalen Abgaben und Pflichten insgesamt 1,8 Milliarden Mark zahlen und 425.169 Hektar Land abtreten.¹ Friedrich Engels beschrieb die politische und wirtschaftliche Rolle der Junker im preußischen Deutschland, deren große Landgüter die ostdeutsche Landschaft bis 1945 prägten, so: »Die tatsächliche halbe Leibeigenschaft der ostelbischen Landarbeiter ist die Hauptgrundlage der preußischen Junkerherrschaft und damit der spezifisch preußischen Oberherrschaft in Deutschland. (…) Die Macht dieser Junker beruht darauf, dass sie in dem geschlossenen Gebiet der sieben altpreußischen Provinzen – also etwa einem Drittel des ganzen Reichsgebiets – über den Grundbesitz verfügen, der hier die gesellschaftliche und politische Macht mit sich führt, und nicht nur über den Grundbesitz, sondern vermittelst der Rübenzuckerfabriken und Schnapsbrennereien auch über die bedeutendsten Industrien dieses Gebiets.«²
Die ostelbischen Junker wurden als zentrale Stütze des reaktionär-militaristischen preußischen Staates Hand in Hand mit den Monopolen der Industrie zum Wegbereiter des Faschismus. In Mecklenburg, einem Kernland des Großgrundbesitzes, waren ein Viertel aller Gutsbesitzer Mitglieder der NSDAP. Die Hälfte der Generäle im Oberkommando der faschistischen Wehrmacht stammte aus dem Adel.³
Im deutschen Faschismus wurde die völlige Unterwerfung der Bauern und der Landbevölkerung unter die imperialistische Kriegspolitik betrieben. Organisationen wie der Landarbeiterverein wurden verboten. Alle, die mit der Produktion, Verarbeitung und dem Handel von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu tun hatten, wurden zwangsweise Mitglied im Reichsnährstand, der unter der Führung des Großgrundbesitzes stand. Spareinlagen und Guthaben der Bauern wurden zur Finanzierung der Kriegslasten eingezogen. Die Folgen des rapiden Rückgangs der Ernteerträge während der Kriegsjahre kompensierte der faschistische Staat durch Zwangslieferungen aus den okkupierten Ländern und eine gnadenlose Politik des Aushungerns von deren Bevölkerung. Die Landwirtschaft in Deutschland erhielten die Faschisten durch den millionenfachen Einsatz und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern aufrecht.
Die Kriegspolitik Nazideutschlands warf die Landwirtschaft in ihrem Entwicklungsstand weit zurück. Bereits ab Mitte der 1930er Jahre wurde die Kriegswirtschaft priorisiert. »Wir werden zur Not auch einmal ohne Butter fertig werden, niemals aber ohne Kanonen«, formulierte es Propagandaminister Joseph Goebbels 1936.⁴ Im Krieg wurden Maschinen vernichtet, hektarweise Land wurde unbrauchbar gemacht, Nutzvieh aufgezehrt. Dies galt insbesondere für Ostdeutschland, wo die Faschisten im März 1945, als die Kriegshandlungen deutschen Boden erreichten und die völlige militärische Niederlage absehbar war, den Befehl gaben, massenweise Nutzvieh abzuschlachten.
Konzept in der Schublade
Deutsche kommunistische Emigranten in der Sowjetunion hatten 1944 die Grundsätze für eine Bodenreform im Nachkriegsdeutschland bereits erarbeitet. Maßgeblichen Anteil daran hatte der Agrarexperte Edwin Hoernle, der bis zum Machtantritt Hitlers 1933 KPD-Reichstagsabgeordneter war. Sein Konzept war grundlegend für die Bodenreform, was auch erklärt, weshalb die KPD unmittelbar nach dem Krieg ein durchdachtes, tragfähiges Programm vorlegen konnte. Im Mai 1945 kehrte Hoernle nach Deutschland zurück, wo er in der Deutschen Wirtschaftskommission die Hauptverwaltung Land- und Forstwirtschaft übernahm. In dieser Funktion war er maßgeblich an der Bodenreform beteiligt.
Die KPD erließ bereits im Juni 1945 einen Aufruf, in dem mit der Losung »Junkerland in Bauernhand« eine »Demokratische Bodenreform« gefordert wurde, orientierte auf die schnellste Durchführung und beantragte im zentralen Ausschuss der im Juli gebildeten »Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien« die Beratung der Bodenreform. Am 22. August 1945 verabschiedete das Zentralkomitee der KPD einen konkreten Vorschlag für die Durchführung einer Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone, die bis Ende 1945 stattfinden sollte. Die Hauptpunkte waren:
– die entschädigungslose Enteignung des privaten Großgrundbesitzes über 100 Hektar
– die entschädigungslose Enteignung des Grundbesitzes von Nazis und Kriegsverbrechern, unabhängig von dessen Größe
– die Bildung eines staatlichen Bodenfonds aus den enteigneten Betrieben und den staatlichen Domänen
– die Aufteilung des größten Teils des Bodenfonds als Privateigentum, wobei die neuen Bauernstellen bei guten und mittleren Böden fünf Hektar, bei schlechten und sehr schlechten Böden acht bis zehn Hektar groß sein sollten
– die Verteilung des Viehs und der einfachen Produktionsgeräte an Neubauern
– und die Übergabe der Traktoren und großen Landmaschinen sowie von Werkstätten und von Betrieben zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse an zu schaffende Ausschüsse der gegenseitigen Bauernhilfe für eine gemeinsame Nutzung.⁵
Die Christdemokraten (CDU) und die Liberalen (LDPD) lehnten den Vorschlag einer entschädigungslosen Enteignung zunächst ab. Hoernle und die KPD argumentierten, dass eine Entschädigung entweder die Bauern oder die Allgemeinheit finanziell belasten würde, was angesichts der Versorgungsengpässe und der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage unverantwortlich wäre. Die Großgrundbesitzer hingegen würden durch eine entschädigungslose Enteignung keineswegs zu Bettlern werden, da sie ihr persönliches Eigentum und ihr angesammeltes Vermögen behalten würden. Darüber hinaus wurde dies als angemessene Strafe für Kriegsverbrechen und als Akt der historischen Gerechtigkeit betrachtet. Nach langwierigen Verhandlungen erfolgte ab dem 3. September die Verabschiedung der Bodenreformverordnungen durch die fünf Landesregierungen in der Sowjetischen Besatzungszone.
In öffentlichen Dorfversammlungen wählten im September 1945 in der Regel Landarbeiter, landarme und kleine Bauern sowie Umsiedler aus ihren eigenen Reihen die Mitglieder der Bodenreformkommissionen, die die Umsetzung koordinierten. Auch auf Kreis- und Landesebene nahmen entsprechende Gremien ihre Tätigkeit auf. Die Bodenreformkommissionen legten im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen fest, welcher Boden zu enteignen war, dokumentierten und sicherten den Bestand der dazugehörigen Gebäude und des Inventars, erstellten Listen der landarmen und landlosen Bauern und Landarbeiter sowie der Flüchtlinge und Umsiedler und nahmen Anträge auf Landzuteilung entgegen. Sie waren verpflichtet, in öffentlichen Versammlungen mit allen Anwärtern auf Land über die Aufteilungspläne zu beraten und zu beschließen. Über die Vergabe der Parzellen und des toten und lebendigen Inventars entschied, um Ungerechtigkeiten zu vermeiden, am Ende das Los. Ebenso zuständig war die Bodenreformkommission für die Bildung erster Komitees zur gegenseitigen Bauernhilfe im Herbst 1945. Diese sorgten für eine rationelle Nutzung der landwirtschaftlichen Maschinen und organisierten die gegenseitige Hilfe der Neubauern.
Den rund 9.500 Bodenreformkommissionen gehörten über 52.000 Mitglieder an, darunter 19.700 Landarbeiter, 18.500 Kleinbauern und Pächter sowie 6.300 Umsiedler. Die übrigen ca. 7.700 sonstigen Mitglieder waren Industriearbeiter, Dorfhandwerker und andere.⁶ Damit wurde die Hauptverantwortung für die Durchführung der Bodenreform den sozialen Kräften übertragen, welche selbst am stärksten an der Neugestaltung der Besitzverhältnisse auf dem Land interessiert waren. Den Vorsitz der aus fünf bis sieben Mitgliedern bestehenden Kommissionen führte zumeist der jeweilige Bürgermeister. Der größte Teil des zur Individualvergabe gelangenden Bodens war bis Ende 1945 aufgeteilt. Die ehemaligen Großgrundbesitzer wurden in der Regel aus ihren Gemeinden ausgewiesen. Die Kommissionen erwiesen sich als Schulen der Demokratie. Die Übergabe der Eigentumsurkunden über den zugeteilten Boden wurde zu einem Festtag in den Dörfern.
Neues Privateigentum
Die Bodenreform entsprach der Verwirklichung jahrzehntealter Forderungen zur demokratischen Umgestaltung auf dem Land und war zugleich die konkrete Antwort auf die politische und wirtschaftliche Nachkriegssituation in Deutschland. Aber weder die sowjetische Besatzungsmacht noch die deutschen Kommunisten verfolgten damit direkt das Ziel einer sozialistischen Umgestaltung, vielmehr wollten sie zunächst eine antifaschistisch-demokratische Ordnung. Der aggressive deutsche Imperialismus sollte geschwächt und für die internationale Systemauseinandersetzung, die sogleich den Kampf gegen den Faschismus ablöste, neutralisiert werden. Innerhalb Deutschlands sollten so die Kampfbedingungen für die deutsche Arbeiterbewegung verbessert werden. Die Bodenreform kann dementsprechend nicht aus der späteren Entwicklung des Aufbaus des Sozialismus in der DDR verstanden werden, legte aber durch die Demokratisierung auf dem Land und die Etablierung von Kooperationsbeziehungen letztlich bereits ein wichtiges Fundament dafür. Die Forderung zur Neuaufteilung des Bodens bestand bedeutend länger, ihren entscheidenden Hintergrund lieferte die jahrhundertealte, feudal geprägte Unterdrückung der Bauern und Landarbeiter.
Walter Ulbricht brachte diesen Zusammenhang in seiner Rede auf dem zweiten Parteitag der SED 1947 auf den Punkt: »Wir haben offen gesagt: Wir sind nicht für irgendwelche Kollektivierungsmaßnahmen oder etwa für die Sozialisierung in der Landwirtschaft. Im Gegenteil, den Bauern wurde Land gegeben, es wurde neues Privateigentum geschaffen, aber zugleich wurde die Solidarität der Neubauern und der Altbauern auf einer neuen Grundlage entwickelt. Ich sage offen, wenn manche Leute uns bei Beginn der Bodenreform sagten: Was seid ihr für Sozialisten? Ihr seid ja nicht einmal für die ›Vergenossenschaftlichung der landwirtschaftlichen Betriebe‹, so haben wir ihnen gesagt: Das könnte Ihnen, meine Herren, so passen, dass der Großgrundbesitz zusammengehalten wird, damit Sie später diesen Großgrundbesitz in die Hände der alten Besitzer zurückgeben können! Nein, unser Kurs ist ein anderer: Wir handeln so, dass der Großgrundbesitz vollständig aufgeteilt wird, damit es niemals wieder in Deutschland einen Großgrundbesitzer geben wird, der diesen Boden zurückbekommen kann.«⁷
Neben diesem politischen Kontext ist der wirtschaftliche entscheidend. Die Aufgabe bestand darin, unter den Bedingungen der katastrophalen Kriegszerstörung die Versorgung mit Lebensmitteln abzusichern. Die technischen Voraussetzungen für landwirtschaftliche Großproduktion waren nicht gegeben. Edwin Hoernle fasste die Hauptgründe für die Bodenreform unter diesen besonderen Bedingungen so zusammen: »Die große Agrarreform ist vor allem ein entscheidendes Mittel zur völligen Ausrottung des preußischen Militarismus, dessen Hauptträger die Junkerkaste war. Auch wirtschaftlich ist die Übergabe des Bodens an den selbst arbeitenden Bauern heute dringend notwendig. Nur der sprichwörtliche Bauernfleiß, der Fanatismus, mit denen der kleine Bauer an seiner Scholle klebt, vermag bei dem heutigen Ruin der Landwirtschaft und dem gewaltigen Mangel an technischen Mitteln eine schleunige Hebung der landwirtschaftlichen Produktion herbeizuführen.«⁸
Ein weiteres Problem war der massive Zustrom von Flüchtlingen und ihre Unterbringung: 4,4 Millionen Flüchtlinge deutscher Herkunft kamen in die Sowjetische Besatzungszone, das entsprach über 24 Prozent der Bevölkerung.⁹ Sie waren vor der Front nach Westen geflohen oder von der lokalen Bevölkerung und von den Regierungen aus Osteuropa umgesiedelt worden, als die Regionen von der faschistischen Besatzung befreit wurden. Industrie und Wohngebiete der Städte waren weitgehend vom Krieg zerstört. In Scheunen und Bauernwirtschaften konnte noch am leichtesten Wohnraum geschaffen werden. Angesichts des Zusammenbruchs der Lebensmittelversorgung bot die kleinbäuerliche Landwirtschaft den sogenannten Umsiedlern zudem auch die Möglichkeit zur Selbstversorgung.
Für Neubauernhöfe erwies sich die Größe der zugeteilten landwirtschaftlichen Flächen und die geringe Verfügbarkeit von Betriebsmitteln oftmals als objektive Grenze, einen Ertrag zu erwirtschaften, der über die Selbstversorgung der neuen Eigentümer hinausging und den strengen Pflichtabgabeauflagen genügen konnte. Von vornherein war klar, dass die durch die Bodenreform parzellierte Kleinbauernwirtschaft auf lange Sicht den steigenden Anforderungen in der Nahrungsmittelproduktion nicht gerecht werden konnte. Zur befristeten Absicherung der Versorgungslage konnten die mit der Bodenreform entstandenen Strukturen indes erheblich beitragen.
Vererb-, aber nicht verkaufbar
Im Zuge der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone wurden 3,3 Millionen Hektar Landbesitz – das entsprach etwa einem Drittel der land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen – sowie 14.000 bauliche Objekte entschädigungslos enteignet. 76 Prozent der enteigneten Fläche stammten von 7.160 privaten Gutsbetrieben, also von Höfen mit über 100 Hektar Nutzfläche; vier Prozent von 4.537 Höfen aktiver Nazis und Kriegsverbrecher mit weniger als 100 Hektar Fläche. Bei den restlichen 20 Prozent der enteigneten Flächen handelte es sich um staatliches Eigentum sowie um Eigentum der Nazipartei.¹⁰
Aus den enteigneten 3,3 Millionen Hektar gingen 2,2 Millionen Hektar in einen zentralen Bodenfonds ein, der durch Bodenreformkommissionen an private Bewerber verteilt wurde. Das verbleibende Drittel des Bodenreformlandes, ungefähr 1,1 Millionen Hektar, die nicht in Form von Privateigentum neu verteilt wurden, gingen in Landeseigentum über oder wurden an Kommunen und gesellschaftliche Organe übergeben.
Das enteignete Land wurde als Privateigentum verteilt, mit den Einschränkungen, dass es als »gebundenes Eigentum« neu verteilt wurde. Die Empfänger sollten auch die Nutzer sein: Es durfte zwar vererbt, jedoch nicht verkauft, verpachtet oder verpfändet werden und ging grundsätzlich schuldenfrei in das Eigentum des Empfängers über. 43 Prozent des zu vergebenden Landes wurden an Landarbeiter und landlose Bauern, 35 Prozent an Umsiedler aus den ehemaligen von Deutschland besetzten Ostgebieten verteilt.¹¹ Die landwirtschaftliche Nutzfläche, die von Kleinbauern bewirtschaftet wurde, hatte sich durch die Bodenreform verdoppelt.
Im Frühjahr 1946 fanden für die zuvor noch übergangsweise gebildeten Komitees Wahlen für die Ortsausschüsse der späteren Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) statt. Diese Ausschüsse stellten sich die Aufgabe, Ausleihstationen für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte aufzubauen (sogenannte Maschinen-Ausleih-Stationen, MAS), Betriebe zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte zu errichten und Reparaturwerkstätten sowie Deckstationen einzurichten.
Es gab zahlreiche Maßnahmen, um die Situation der Neubauern zu verbessern und die neugeschaffenen Wirtschaften zu festigen. Dazu zählten die Anpassung von Ablieferungsnormen, Saatgut- und Viehbereitstellung, Kredite, die Förderung von Kooperationen mit anderen Bauern, Erntehilfen und ein von der Sowjetischen Militäradministration erlassenes Bauprogramm, in dessen Rahmen bis 1953 rund 95.000 Wohnhäuser, 104.300 Ställe und 38.470 Scheunen gebaut wurden.¹²
Die Bodenreform stellte die Machtfrage auf den Dörfern ganz konkret. Großgrundbesitzer versuchten oftmals, Widerstand gegen ihre Enteignung und ihren Verlust von Einfluss und Macht zu leisten und nahmen, als sie keine Alternative mehr sahen, alles mit, was sie transportieren konnten. Der Umfang des Neubeginns und die Kompliziertheit dieses Wandels im Leben und Denken der Neubauern und der übrigen Landbevölkerung dürfen angesichts der zwölf Jahre faschistischer Kriegshetze und jahrhundertealter Unterdrückung durch den Feudaladel und Großgrundbesitz nicht unterschätzt werden.
Restitution und Spekulation
Mit der Übernahme der DDR durch die Bundesrepublik stellte sich 1990 die Frage, ob auch die durch die Bodenreform durchgesetzte Enteignung rückgängig gemacht werden sollte, ob also die Alteigentümer, die Großgrundbesitzer, Nazi- und Kriegsverbrecher, Ansprüche auf ihr ehemaliges Bodeneigentum geltend machen könnten.
Schließlich wurde zwar festgelegt, dass die Entscheidungen der Besatzungsmacht und insofern auch die Bodenreform nicht rückgängig gemacht werden dürfen. Trotzdem wurden in den 1990er Jahren rund 70.000 Erben von Bodenreformland mit dem Argument entschädigungslos enteignet, dass sie zum Zeitpunkt der sogenannten Wende nicht selbst Mitglieder einer Genossenschaft oder darüber hinaus in der Landwirtschaft tätig waren.¹³ Darüber hinaus wurde durch das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) von 1994 der vergünstigte Rückerwerb zumindest eines Teils der früheren Besitztümer der »Bodenreformopfer« ermöglicht. Land konnte demnach auch von Verwandten vierten Grades für 65 Prozent des Verkehrswertes »zurückerworben« werden.¹⁴
Bis heute hält die »marktkonforme« Privatisierungs- und Verpachtungspolitik der Bodenverwertungs- und -verwaltungs-GmbH (BVVG), einer Nachfolgeorganisation der Treuhand, an. Längst hat Bodenspekulation im Osten Einzug gehalten, die die Pachtgebühren in die Höhe treibt und die tradierten Landwirtschaftsstrukturen zersetzt. Damit steht die alte Forderung »Das Land denen, die es bearbeiten« heute auch im Osten Deutschlands, wie in weiten Teilen der Welt, wieder auf der Tagesordnung.
Anmerkungen
1 Volker Klemm et al.: Von den bürgerlichen Agrarreformen zur sozialistischen Landwirtschaft in der DDR. Berlin 1985, S. 30
2 Friedrich Engels: Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland. In: Marx-Engels-Werke, Bd. 22, S. 504
3 Siegfried Kuntsche: Bodenreform in einem Kernland des Großgrundbesitzes. In: Hans Modrow u. Hans Watzek (Hg.): Junkerland in Bauernhand. Berlin 2005, S. 101 u. Klemm et al. (Anm. 1), S. 142
4 Joseph Goebbels im Januar 1936, zit. n. Kurt Bauer: Nationalsozialismus: Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall. Wien 2008, S. 306
5 Hans Watzek: Der Streit um die Reform. In: Modrow u. Watzek (Anm. 3), S. 16
6 Joachim Piskol; Christel Nehrig u. Paul Trixa: Antifaschistisch-demokratische Umwälzung auf dem Lande. Berlin 1984, S. 50
7 Walter Ulbricht: Brennende Fragen des Neuaufbaus Deutschlands. Berlin 1947, S. 57
8 Edwin Hoernle, zit. n. Frank Schumann: Edwin Hoernle (1883–1952). In: Modrow u. Watzek (Anm. 3), S. 71 f.
9 Hartmut Koschyk u. Vincent Regente: Vertriebene in SBZ und DDR. Berlin 2021, S. 31
10 Autorenkollektiv: Früchte des Bündnisses – Werden und Wachsen der sozialistischen Landwirtschaft der DDR. Berlin 1985, S. 170
11 Klaus Schmidt: Landwirtschaft in der DDR: VEG, LPG und Kooperationen. Wie sie wurden, was sie waren, was aus ihnen geworden ist. Clenze 2009, S. 16
12 Autorenkollektiv (Anm. 10), S. 45
13 Lothar Weigelt: Ich war 15. In: Modrow u. Watzek (Anm. 3), S. 151 f.
14 Jana Frielinghaus: Privatisierungsbilanz, junge Welt, 13.7.2012
Der Text ist ein redaktionell bearbeiteter Ausschnitt aus der Neuveröffentlichung »Junkerland in Bauernhand – Von der Bodenreform zur sozialistischen Landwirtschaft in der DDR« der Internationalen Forschungsstelle DDR (IFDDR).
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