Unbekannte Entscheidungen
Von René Lau
In jungen Anwaltsjahren gab mir ein altgedienter Strafverteidiger mal einen Rat: »Du musst den Inhalt der Gerichtsakte besser kennen als jeder andere im Gerichtssaal. Dann bist du immer in der Vorhand.« Daher gehört es zu meinen Routinen, Akten intensiv zu studieren, keine Seiten auszulassen – sei die Akte noch so umfangreich. Der Ratschlag bestimmt bis heute meine Vorbereitungen auf jede Hauptverhandlung.
Unlängst kam ein Fußballfan mit einem Strafbefehl zu mir – Beleidigung von Polizeibeamten wurde ihm vorgeworfen, anhand des am Stadionzaun angebrachten Kürzels ACAB. Der örtliche Szenekundige Beamte (SKB) hatte nicht bloß das Geschehen beobachtet, sondern alles fleißig dokumentiert. Die Anzeige gegen den Mandanten war beim Staatsanwalt schnell auf dem Tisch. Der winkte die Sache durch und beantragte beim Amtsgericht den Strafbefehl, das ihn prompt erließ.
Das Aktenstudium ließ mich stutzen. Das Kürzel ACAB adressierte keinen bestimmten Beamten. Nun ist aber so, dass das Verfassungsgericht im Jahre 2016 in drei Entscheidungen ausgeführt hat, dass ein Handeln wie das meines Mandanten nicht länger strafbar ist. Das Wissen darum vermittle ich seit neun Jahren in Vorträgen vor Fußballfans. Ich rief den Richter an, fragte, was das alles soll. Stichwort: Artikel 5 des GG der freien Meinungsäußerung. Was kam heraus? Dass der Richter die Entscheidungen des Verfassungsgerichts nicht kannte. Rasch waren wir uns einig. Er will die Akte noch einmal studieren, ich werde ihm die entsprechenden Entscheidungen zusammenstellen. Und gehe mal davon aus, dass das Verfahren gegen meinen Mandanten auf Kosten der Landeskasse eingestellt wird. Ich werde berichten.
Schon erstaunlich, dass ich nach neun Jahren noch einmal auf die längst bekannten Entscheidungen des Verfassungsgerichts zurückkommen musste. Am besten lasse ich sie SKB und Staatsanwaltschaft auch zukommen, damit ich nicht immer wieder von vorn anfangen muss.
»Sport frei!« vom Fananwalt.
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Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (10. Oktober 2025 um 09:59 Uhr)Ähnlich gelagerte Fälle gibt es massenhaft, so viel und auch bei grotesken Sachverhalten, dass ich die Artikel-Überschrift »Unbekannte Entscheidungen« für verfehlt halte: So doof kann mensch nicht sein, die Entscheidungen (oder auch Selbstverständlichkeiten, dass sich Richter, Staatsanwälte und Cops ganz grundsätzlich an Recht und Gesetz zu halten haben,) sind nicht unbekannt. Es handelt sich um billige Schutzbehauptungen, damit von den angeblichen Hütern des Rechts das Recht gebeugt und gebrochen werden kann, damit die Leute per Lawfare je nachdem drangsaliert oder im Stich gelassen werden können. Beispielsweise hier allein der Massenversand von unrechtmäßigen Strafbefehlen und dem daraus resultierenden Aufwand für die Opfer dieser kriminellen Machenschaften sorgen dafür, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung von den vom Kapitalistenstaat politisch unerwünschten Gruppen weniger oder gar nicht mehr ausgeübt wird. Geschützt werden die kriminellen Justizschranzen dabei auch vom sgn. »Richterprivileg«, was ursprünglich geschaffen wurde, um mordende Nazi-Richter an den Volksgerichtshöfen in der jungen BRD weiter beschäftigen zu können, statt rechtmäßig einknasten zu müssen: Für alle Menschen in der BRD gilt im Normalfall »Unwissenheit schützt vor Strafe nicht«. Nur die Justizsystemapologeten können sich ganz einfach mit der Ausrede »wusste ich nicht« ihrer rechtmäßigen Verurteilung strukturell unrechtmäßig entziehen.
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vom 10.10.2025