An die Existenz
Von Arnold Schölzel
Im Kampf des deutschen Kapitals gegen Arme hat der Koalitionsausschuss eine neue Runde eröffnet. Vor gut 20 Jahren führte die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe durch »Hartz IV« noch »Armut per Gesetz« herbei. Das war kombiniert mit der Einrichtung eines »der besten Niedriglohnsektoren« in der EU, so Urheber Gerhard Schröder Anfang 2005 beim Weltwirtschaftsforum.
Der »Erfolg« spricht für sich: Vor »Hartz IV« waren etwa 2,8 Millionen Menschen auf Sozialhilfe angewiesen. 2022 lebten laut Nationaler Armutskonferenz 17,7 Millionen Menschen, mehr als 20 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Grenze von 60 Prozent des Durchschnittseinkommens. In seinem »Armutsbericht 2025« hielt der Wohlfahrtsverband »Der Paritätische« fest: »Während das mittlere Einkommen von Personen unterhalb der Armutsgrenze im Jahr 2020 noch bei 981 Euro im Monat lag, waren es im Jahr 2024 preisbereinigt nur noch 921 Euro.« 5,2 Millionen Menschen können sich demnach »nicht leisten, die Wohnung warmzuhalten oder alte Kleidung zu ersetzen.« Dafür waren Gesetze nicht nötig, das erledigte der Selbstlauf des Kapitalismus.
Mit dem Antritt der Merz-Klingbeil-Regierung war klar, dass ihr das nicht reicht. Wer alle finanziellen Schleusentore für Aufrüstung öffnet, darf keinen Empfänger staatlicher Leistungen ungeschoren lassen. Zumal, wenn sich Verzweiflung breitmacht, weil der wirtschaftliche »Aufschwung« ausbleibt. Der seit der Bundestagswahl als Fürst gesellschaftlicher Finsternis auftretende CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verriet Bild am Donnerstag: »Wir kehren zum System des Förderns und Forderns zurück und schaffen mit der neuen Grundsicherung eine neue Gerechtigkeit.« Das erste meint Schikane bis zum Hunger, die »neue« Gerechtigkeit ist die älteste. Ihre Formel lautet seit der Antike: »Jedem das Seine«. Das war in der BRD auch nach dem Lagertor von Buchenwald noch so populär, dass es seit 1956 Wahlspruch der sogenannten Bundeswehr-Feldjäger, der Militärpolizei, ist. Was jeweils »das Seine« ist, legen die Linnemanns aller Länder und Zeiten fest: Dem einen gebührt schnelles Sterben, dem anderen ein grotesker Geldhaufen.
In diesem Sinn beschwor Friedrich Merz am 3. Oktober »den neuen Konsens der Gerechtigkeit«, der Verfassungsbruch durch Entzug des Existenzminimums einschließt. Die SPD macht bei der Erfüllung dieses weiteren Programmpunkts der AfD mit. Mehr politischer Selbstmord war nie. Zufall und auch kein Zufall, dass Papst Leo XIV. gleichzeitig mit dem deutschen Koalitionskonsens zurück zu Willkür, also Unfreiheit, und Almosen in seinem ersten Lehrschreiben auffordert: »Es ist daher notwendig, weiterhin die ›Diktatur einer Wirtschaft, die tötet‹, anzuprangern.« Die hier gehen, das beweisen sie mit Waffenlieferungen, über Leichen. Dem Bündnis mit der AfD steht erneut weniger im Weg.
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Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (9. Oktober 2025 um 22:50 Uhr)Krass … wenn schon der Papst die Konsequenz des Kapitalismus begreift und es dann auch noch öffentlich zugibt. Und dann auch noch anprangert, muss etwas in den Köpfen der Leute ziemlich heftig in Bewegung geraten sein. Da das C bei den Unionsparteien ja traditionell für »christlich« im schlechtesten Wortsinn steht, ist auch völlig folgerichtig, dass sie in Komplizenschaft mit der traditionellen Verräterpartei aktiv darauf hinarbeiten, das Ende der Menschheit mittels Stärkung der faschistischen »Alternativen« durch Umleitung dieser »Bewegung in den Köpfen« aus dem Regen raus und ab in die Traufe, also ebenso im schlechtesten Wortsinn: typisch menschlich, einzuläuten.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (9. Oktober 2025 um 20:00 Uhr)Krieg nach außen um Ressourcen und Absatzmärkte sowie Krieg im Inneren gegen die eigene Bevölkerung sind die unumkehrbare Marschroute, die die real existierende »soziale Marktwirtschaft« eingeschlagen hat. Im Vergleich zu anderen Ländern, wie z. B. den USA, ist bei der hiesigen Bevölkerung noch einiges zu holen. Dass der Zwang der Kapitalverwertung nicht nur den Krieg, sondern auch den Faschismus in sich trägt, ist evident. Die SPD geht diesen Weg, aus dem z. B. die massenhafte Zunahme von Obdachlosigkeit resultieren wird, gerne mit. Bärbel Bas (SPD) erklärte die Änderungen beim Bürgergeld: »Wer nicht mitmacht, wird es schwer haben. Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.« Es herrscht in fast allen Parteien der staatspolitische Konsens, die Bedürfnisse der großen Kapitalgesellschaften zu bedienen. Solange der heiße Krieg gegen Russland noch nicht offiziell begonnen hat, wird es weitere sukzessive Verschlechterungen für die ohnehin verarmten Teile der Bevölkerung, unter dem Deckmantel demokratisch legitimierter Koalitionsdisziplin, geben. Danach erfolgt der abrupte Übergang in eine Notstandsgesellschaft.
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