Macron bleibt sitzen
Von Hansgeorg Hermann
An diesem Freitag soll es passieren: Frankreichs rechter Präsident Emmanuel Macron will mal wieder einen neuen Ministerpräsidenten nominieren – den vierten seit der vergeigten Parlamentswahl Ende Juli 2024. Ob er diesmal einen »Linken« beauftragen wird, die von ihm im Vorjahr ausgelöste »Staatskrise« bis zur nächsten Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2027 zu verwalten? Zur Stunde weiß das niemand. Macron hatte am Donnerstag Wichtigeres zu tun, als drängende Fragen zu beantworten: Er ließ den Leichnam des ehemaligen Justizministers Robert Badinter – dieser verstarb im Februar 2024 im Alter von 95 Jahren – ins Panthéon überführen. Dort wurde der Mann, der 1981 für die Abschaffung der Todesstrafe und die Entkriminalisierung der Homosexualität sorgte, neben anderen Größen der Republik zur letzten Ruhe gelegt. Trotz pompöser Zeremonie für einen Politiker und Intellektuellen, dem das Spektakel wohl zuwider gewesen wäre, stand in Paris das andere, das politische Theater im Vordergrund: Macron will Präsident »bis zur letzten Sekunde« bleiben, er wird das Parlament nicht auflösen, und eine handlungsfähige Mehrheit in der Nationalversammlung wird wohl auch sein nächster Premier nicht zusammenbringen.
Verlassen von Getreuen wie seinem ersten Ministerpräsidenten Édouard Philippe, der ab 2017 immerhin drei Jahre im Amt schaffte, verkündete der zur Stunde »einsamste Staatschef Europas« – wie ihn die französischen Medien seit dem Wochenende unisono abfertigen – seinen Verbleib im Präsidentenpalast Élysée. Selbst Philippe hatte ihn aufgefordert, den Sessel zu räumen. Damit schloss er sich dem lauten Ruf entschiedener politischer Gegner an, wie des ultrarechten Rassemblement National oder Frankreichs zur Zeit einzigen wirklichen Linkspartei La France insoumise (LFI). Deren Chef Jean-Luc Mélenchon schloss allerdings auch die Unterstützung eines eventuell von Macron nominierten Kandidaten des Parti Socialiste (PS) aus. Sein Vorwurf, die Sozialdemokraten hätten wieder einmal die gemeinsame Linie des Bündnisses Nouveau Front Populaire (NFP) verlassen und – statt den Präsidenten zu verjagen und Neuwahlen zu verlangen – Macron ihren Parteichef Olivier Faure als neuen Premier angedient. In der Tat haben der PS und die Grünen das Bündnis mit ihrer Konsenspolitik gegenüber den Macronisten gesprengt, obwohl es 2024 die Wahl gewonnen und die Machtübernahme der extremen Rechten verhindert hatte.
Nach dem Rücktritt des derzeit nur noch geschäftsführenden rechtsliberalen Premiers Sébastien Lecornu am Montag hatten die meisten Beobachter und Kommentatoren der politischen Szene in Paris zunächst damit gerechnet, der Präsident werde wohl erneut das Parlament auflösen. Damit wären die rund 50 Millionen Wahlberechtigten des Landes wie schon 2024 erneut aufgefordert gewesen, endlich »verantwortlich« zu votieren und für eine stabile Mehrheit in der Nationalversammlung, die seines eigenen Lagers nämlich, zu sorgen. Allerdings wurde selbst Macron, ebenso wie den Parteifürsten, relativ schnell klar, dass ein unbequemes Wahlergebnis die seit Monaten verfahrene Situation wohl fast bis zur nächsten Präsidentschaftswahl festschreiben würde: Die Verfassung erlaubt erstens nur dem Staatschef die Auflösung des Parlaments, und zweitens darf auch er das nur alle zwölf Monate tun.
Während Lecornu auf Anordnung Macrons ab Dienstag noch einmal 48 Stunden mit den Parteichefs verhandelte, um doch noch eine künftige Koalitionsregierung auf der Basis eines kleinsten gemeinsamen Nenners zusammenzuschustern, stellte sich schnell heraus, dass es diese Basis so nicht gibt: Sozialdemokraten und Grüne wollen einen Premier namens Faure, doch den lehnen nicht nur die bürgerliche und die extreme Rechte, sondern auch die LFI sowie Teile der Macronisten ab. Gleichzeitig verlangt die gesamte Linke die »Suspendierung« der 2023 von Macrons damaliger Regierungschefin Élisabeth Borne per Dekret und gegen den Willen von 75 Prozent der Bevölkerung durchgedrückten »Rentenreform«. Dem stehen die bürgerliche Rechte, der Präsident und der ihm den rechten Weg weisende Unternehmerverband Medef mit einem klaren »Nein« entgegen.
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