Kratzer an Israels Propaganda der Stärke
Von Ina Sembdner
Für Benjamin Netanjahu ist klar, warum die Verhandlungen zu einem Abkommen mit der Hamas nun erfolgreich verlaufen sind: »Weil wir militärisch gegen ihre Hauptfestung, die Stadt Gaza, vorgegangen sind.« Die Hamas sei nun »wesentlich flexibler, weil sie erkannte, dass ihr Ende nahe ist«, so der ultrarechte israelische Premier in einem Interview mit Euronews am Sonntag. Tatsächlich dürften allerdings andere Entwicklungen im Hintergrund einen Ausschlag gegeben haben: die immer noch empfindlichen Schläge des militärischen Arms der Hamas, der Al-Kassam-Brigaden, gegen Soldaten in der Küstenenklave; die zunehmende Ungeduld in Israel angesichts der Lebensgefährdung der Geiseln durch Aushungerung und Totalzerstörung infolge der noch einmal deutlich verschärften Kriegführung; die gleichzeitig erfolgte Einstufung des Krieges als Genozid durch die UNO; und nicht zuletzt die sinkende Akzeptanz in den USA, dem engsten Verbündeten Israels.
Darauf wies auch die rechts stehende israelische Zeitung Jerusalem Post am Donnerstag hin: »Hier geht es nicht nur um Politik. Es geht um Wahrnehmung – und um die Geschichte, die Israel nicht mehr wirkungsvoll erzählt.« Drei in den vergangenen Wochen durchgeführte Umfragen in den USA (Pew Research Center, New York Times/Siena College und Washington Post) zeichneten ein »ernüchterndes Bild«, so die Zeitung. Die Sympathie für Israel habe »dramatisch abgenommen«, sogar »unter amerikanischen Juden selbst«. Flankiert wurde das im gleichen Zeitraum von immer größer werdenden Protesten, Streiks und Blockaden gegen den Genozid in den Metropolen der politischen, finanziellen und militärischen Unterstützer – selbst in Berlin kamen erstmals rund 100.000 Menschen zusammen. Und auch die israelische Bevölkerung glaubt erstmals mehrheitlich, dass die Zeit für ein Ende des Krieges gekommen sei. Laut einer am Montag veröffentlichten Umfrage des Israel Democracy Institute trifft dies auf 66 Prozent der Befragten zu. Vor einem Jahr lag der Wert 13 Prozentpunkte niedriger. Dabei sei als Grund sowohl bei jüdischen Israelis (50,5 Prozent) als auch bei palästinensischen Israelis (34,5 Prozent) die Gefahr für die Geiseln als wichtigster Grund angegeben worden, wie die Times of Israel unter Berufung auf das Institut schrieb.
Und dass die Hamas dem Ende nah sei, kann zumindest angezweifelt werden. Tödliche Angriffe erfolgten seitens der Kassam-Brigaden auch nach Beginn der Bodenoffensive auf Gaza-Stadt Mitte September, die zuvor schon unter dem stärksten Bombardement seit Kriegsbeginn gestanden hatte. Am Montag veröffentlichte das Verteidigungsministerium in einem seltenen Fall die Zahl der seit dem 7. Oktober 2023 Gefallenen: Demnach wurden 1.152 Einsatzkräfte im Kampf getötet. Davon seien 40 Prozent Soldaten unter 21 Jahren gewesen, sie leisteten ihren Wehrdienst ab. Dies war am 25. September auch Thema in einem Unterausschuss der Knesset. Dort erklärte Arie Moalem, Leiter der Abteilung für Familien, Gedenken und Kulturerbe des Verteidigungsministeriums, zu den Auswirkungen des Krieges: »Die letzten zwei Jahre des Krieges sind wie 26 Jahre Arbeit und 26 Jahre Beerdigungen.« Man habe mehr als 6.500 Menschen in den Kreis der Hinterbliebenen aufgenommen. »An einem einzigen Tag hatten wir einen Höchststand von 90 Beerdigungen.«
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