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Aus: Ausgabe vom 10.10.2025, Seite 1 / Titel
Nahostkonflikt

Atempause für Gaza

Hamas und Israel einigen sich auf erste Phase von Friedensplan. Geiselaustausch binnen 72 Stunden
Von Jörg Tiedjen
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Sind Krieg und Völkermord vorbei? Ein Moment der Freude über die angekündigte Waffenruhe (Deir Al-Balah, 9.10.2025)

Es war ein Moment großer Freude im Gazastreifen. Tausende Menschen reagierten am Donnerstag morgen mit Jubel darauf, dass bei den Verhandlungen im ägyptischen Scharm Al-Scheich eine Übereinkunft erzielt werden konnte. Al-Dschasira zeigte Bilder von feiernden Menschen in der zerstörten Stadt Khan Junis, nachdem Reporter in Pressewesten die Nachricht mündlich verbreitet hatten, da die Bevölkerung über kein Internet und keinen Strom mehr verfügt. Auch Angehörige israelischer Gefangener in Tel Aviv zeigten sich erleichtert über die vereinbarte Waffenruhe.

Am frühen Morgen lokaler Zeit hatte US-Präsident Donald Trump die Einigung auf der Plattform »Truth Social« verkündet: »Ich bin stolz, bekanntgeben zu können, dass Israel und die Hamas die erste Phase unseres Friedensplans unterzeichnet haben. Das bedeutet, dass alle Geiseln in Kürze freigelassen werden und Israel seine Truppen auf eine vereinbarte Linie zurückziehen wird – als erster Schritt hin zu einem starken, dauerhaften und ewigen Frieden.« Unklarheit herrschte aber bereits über die Frage, wann die Feuerpause in Kraft tritt. Während arabische Medien wie Al-Majadin angaben, dass sie ab sofort gelte, teilte das Büro des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu mit, dass dazu erst ein Beschluss seines Kabinetts erforderlich sei, das nach Redaktionsschluss am Abend zusammentreten sollte. Bis Donnerstag mittag meldete die Agentur WAFA 13 weitere Todesopfer durch israelischen Beschuss in Gaza.

Nach Angaben der Hamas sollen in einem ersten Schritt 20 israelische Gefangene freikommen, die sich noch in ihrer Gewalt befinden. Im Gegenzug ist die Entlassung von rund 2.000 Palästinensern aus israelischer Haft vorgesehen. Der Austausch soll innerhalb von 72 Stunden nach Inkrafttreten des Abkommens erfolgen. Außerdem sei die Einfahrt von mindestens 400 Lkw mit Hilfsgütern pro Tag nach Gaza »während der ersten fünf Tage der Waffenruhe« vorgesehen. Deren Verkündung wurde international durchweg positiv aufgenommen. Die Beifallskundgebungen reichen von Berlin bis Beijing. Auch die Ansarollah im Jemen begrüßten am Donnerstag morgen die Einigung. Als eine von wenigen internationalen Kräften hatten sie alles in ihrer Kraft Stehende unternommen, um dem israelischen Völkermord in Gaza ein Ende zu setzen.

Äußerungen des extrem rechten israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich wecken allerdings Zweifel, ob die Regierung in Israel ernsthaft an einer Friedenslösung interessiert ist. Am Donnerstag schrieb Smotrich auf X, dass er sich »in der Verantwortung« sehe, »dafür zu sorgen, dass Israel unmittelbar nach der Rückkehr der Entführten weiterhin mit aller Kraft für die Ausrottung der Hamas und die Entmilitarisierung des Gazastreifens kämpft, damit dieser keine Bedrohung mehr für Israel darstellt«. Smotrich kündigte an, dass er sich aller Feierlichkeiten enthalten und am Abend nicht für das Abkommen stimmen werde.

Die Drohungen Smotrichs sind ernst zu nehmen. Anfang des Jahres hatte Israel schon einmal eine bereits vereinbarte Waffenruhe gebrochen, nachdem erste Geiseln ausgetauscht worden waren. Mehr als ein paar Tage Atempause für Gaza hatte es nicht gegeben. Im September bombardierte das israelische Militär dann im Golfemirat Katar eine Delegation der Hamas, die zusammengekommen war, um über ein von Trump ausgesprochenes Ultimatum zu beraten. Deutlicher kann man sein Desinteresse am Frieden kaum zeigen.

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