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Aus: Ausgabe vom 09.10.2025, Seite 7 / Ausland
Madagaskar

Präsident setzt auf Härte

Madagaskar: Nach heftigen Protesten ernennt Staatsoberhaupt General zu Regierungschef. Demonstranten geben nicht auf
Von Bernard Schmid
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Stromausfälle, Arbeitslosigkeit und Armut treiben derzeit viele Madegassen auf die Straßen (Antananarivo, 7.10.2025)

Ein neuer Premierminister soll es also richten. Madagaskars Staatspräsident Andry Rajoelina hat am Montag nach mehrtägiger Suche einen neuen Regierungschef ernannt. Amtsvorgänger Christian Ntsay war eine Woche zuvor, nach siebenjähriger Regierungszeit, geschasst worden. Dass die Wahl nun auf einen General gefallen ist, zeugt von der versuchten Annäherung des Präsidenten an die Militärs, bei denen er Rückhalt sucht. Hintergrund sind die seit dem 25. September gegen ihn gerichteten heftigen, vom Kollektiv »Gen Z Madagascar« getragenen Proteste. Die polizeiliche Repression hat nach Angaben des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 29. September – es liegen keine neueren Zahlen vor – bisher 22 Menschenleben gekostet.

Der neue Premier, Ruphin Fortunat Dimbisoa Zafisambo, hat außer in Madagaskar auch in Algerien und im französischen Montpellier studiert. Laut Rajoelina hat er nun sechs Monate Zeit, um sich zu beweisen und die doppelte Mission zu erfüllen, »die Ordnung wiederherzustellen«, aber auch »das öffentliche Vertrauen« wiederzugewinnen. Helfen soll ihm dabei seine Verankerung im Sport: Zafisambo war früher Generalmanager des nationalen Basketballverbands von Madagaskar. Der breiten Öffentlichkeit ist er bislang jedoch unbekannt. Kurz vor seiner Ernennung zerstreuten die sogenannten Sicherheitskräfte am Montag mindestens 1.000 Teilnehmer, die versucht hatten, sich zu Demonstrationen im Zentrum der Hauptstadt Antananarivo zu sammeln.

Um den Sozialprotesten entgegenzusteuern, an deren Ausgangspunkt der Unmut über ständige Strom- und Wasserabschaltungen in den Wohnvierteln stand, hatte Staatspräsident Rajoelina für vergangenen Sonnabend seinerseits zu regierungstreuen Demonstrationen in der Hauptstadt aufgerufen. Der Präsident ruft, die Bürger kommen nicht oder kaum: Nur wenige hundert Menschen folgten der Aufforderung. Der Versuch, eine eigene Bewegung auf der Straße zu organisieren, schlug also fehl. Am Freitag erklärte Rajoelina in einer auf Facebook übertragenen Rede, dass »Länder oder Agenturen« hinter der Protestbewegung stünden, die eine »Massenmanipulation von jungen Madagassen« herbeigeführt hätten. Ziel dabei sei es, »Chaos zu stiften und einen Staatsstreich« herbeizuführen, um »die Kontrolle über die Rohstoffe zu erlangen, wie dies bereits in Afrika passiert«. Allerdings funktionierte die kapitalistische Ausbeutung von Rohstoffen und Natur in Madagaskar bisher ohne Probleme, von den Auswirkungen auf Menschen und Umwelt abgesehen.

Welche Länder oder Interessen hinter dem gegen ihn gerichteten »Komplott« stünden, präzisierte Rajoelina nicht. Das Außenministerium verbreitete diesen Vorwurf dennoch in einer an die ausländischen diplomatischen Vertretungen auf Madagaskar gerichteten Nachricht. Darin heißt es, »laut den Analysen unserer Spezialdienste« habe »eine Agentur mit fortgeschrittenen technischen Mitteln vom Ausland aus« und unter Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz »die öffentliche Meinung zu manipulieren« versucht. Zuvor hatten, neben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, auch ausländische Botschaften – unter anderem die der BRD, der EU und der USA – die Repressionen gegen Demonstranten kritisiert.

75 Prozent der Bevölkerung auf der Rieseninsel lebten laut Zahlen von 2022 unter der Armutsgrenze. Der Grenzwert dafür wurde auf 4.000 Ariary, umgerechnet 0,80 Euro pro Tag, festgelegt. International wird die Armutsgrenze bei 2,15 US-Dollar pro Tag festgelegt, die Weltbank hob den Wert in ihrer Definition im Juni 2025 auf drei Dollar an. Auch ein Ende der Armut ist eine Forderung der Demonstranten. Zudem prangern sie Mängel im Bildungssystem und die hohe Arbeitslosigkeit im Land an. Nachdem sie Rajoelina ein 48-Stunden-Ultimatum zur Erfüllung ihrer Forderungen gestellt hatten, kündigte der Präsident einen »nationalen Dialog« an. Ob der angedrohte Streik damit abgewendet werden kann, blieb vorerst offen.

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