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Aus: Ausgabe vom 07.10.2025, Seite 16 / Sport
Radsport

Tag der Favoriten

Bei der EM in der französischen Ardèche-Region gewannen Tadej Pogačar und Demi Vollering die Titel im Straßenrennen
Von Holger Römers
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Die am Sonntag beendete Straßenrad-EM, die erst zum zehnten Mal neben den Nachwuchsklassen auch die Profis einschloss, verdiente in diesem Jahr ebensoviel Aufmerksamkeit wie die WM. Denn anders als in Kigali, wo Tadej Pogačar am Vorsonntag seinen Weltmeistertitel verteidigt und den Hauptkonkurrenten Remco Evenepoel auf Platz zwei verwiesen hatte, gingen bei den europäischen Titelkämpfen zusätzlich die beiden Topplazierten der jüngsten Spanien-Rundfahrt an den Start.

Bevor die Hälfte der 202 Kilometer absolviert war, die in wechselnden Schleifen über steile Hügel des französischen Departments Ardèche führten, verlor der dänische Vuelta-Sieger Jonas Vingegaard schon den Anschluss. Vorausgegangen war die erste Attacke belgischer Fahrer, der gut zehn Minuten später eine zweite folgte, woraufhin der Mannschaftskapitän selbst die Konkurrenz herausforderte. Evenepoel legte 91 Kilometer vor dem Ziel dann noch eine weitere Beschleunigung ein, die Pogačar endgültig von den anfangs dominanten slowenischen Teamkollegen isolierte. Abgehängt war derweil auch der portugiesische Vuelta-Zweite João Almeida, der noch nicht jene Unpässlichkeit überwunden hatte, die am Mittwoch seinen Start im von Evene­poel gewonnenen Zeitfahren verhindert hatte.

So zeichnete sich früh eine Variation des Zweikampfs von Kigali ab, wobei Evenepoel auf drei Kollegen bauen durfte, die in einer Abfahrt zur Spitzengruppe aufgeschlossen hatten. Auf sich alleine gestellt, hatte Pogačar erst recht einen Grund, sein Heil wie so oft in einer langen Flucht zu suchen. Als zum dritten Mal der schwerste Anstieg, die sieben Kilometer lange Côte de Saint-Romain-de-Lerps, zu bewältigen war, ging der 27jährige in die Offensive. Trotz teilweise starken Gegenwinds fuhr er schließlich 75 Kilometer solo nach Guilherand-Granges, wo der EM-Titel eine der wenigen Lücken in seiner Siegerliste füllte. Der zwei Jahre jüngere Evenepoel hatte kurz mit dem Slowenen mitzuhalten versucht, bevor er in einem Verfolgerquartett den Hauptteil der Nachführarbeit übernahm. 38 Kilometer vor dem Ziel setzte er seinerseits zur Solofahrt an – so dass das Finale des Rennens sich als veritable Wiederholung des Programms der Vorwoche entpuppte. Spannung ergab nur noch der Kampf um Platz drei, der erst auf den letzten drei Kilometern entschieden war: Das kaum 19jährige französische Supertalent Paul Seixas hatte an einer knackigen Rampe das Tempo so lange um jeweils neue Nuancen gesteigert, bis der zähe Italiener Christian Scaroni in der folgenden Abfahrt geschlagen war.

Während bei den Männern die gelungene belgische Kollektivtaktik durch eine einzige slowenische Attacke ausgehebelt wurde, war am Sonnabend die (selbstverständliche) Überlegenheit des niederländischen Frauenteams dank einer (nicht selbstverständlichen) vorbildlichen Zusammenarbeit mit Gold und Bronze belohnt worden. Zwar waren dem Start des nur 116 Kilometer langen Rennens namhafte Fahrerinnen kurzfristig ferngeblieben, zu denen krankheitsbedingt auch Marlen Reusser gehörte, die am Mittwoch zum vierten Mal Europameisterin im Zeitfahren geworden war. Das nur 85 Frauen umfassende Peloton barg trotzdem viel Prominenz, die wiederum bemüht war, sich nicht wie in Kigali zugunsten einer Außenseiterin zu verpokern.

Die Favoritinnen waren denn auch alle in der 18köpfigen Gruppe präsent, die an der nur einmal zu überquerenden Côte de Saint-Romain-de-Lerps übrig geblieben war. Bezeichnend für die niederländische Kontrolle war indes, dass gleich sechs dieser Fahrerinnen orangefarbene Trikots trugen. Nun ging Demi Vollering in die Offensive, wobei zunächst Kasia Niewiadoma, Elisa Longo Borghini und Anna van der Breggen noch folgen konnten. Letztere war bekanntlich bis zum eigenen Comeback und dem konfliktträchtigen Abgang ihrer Landsfrau Vollering aus dem Team SD Worx – Protime dessen Sportdirektorin gewesen. Um so mehr fiel nun auf, dass die 35jährige bald Führungsarbeit übernehmen mochte und es dem sieben Jahre jüngeren Exschützling somit erleichterte, kurz vor der Kuppe abermals anzugreifen. Vollering fuhr daraufhin 37 Kilometer solo zum EM-Titel, der den versöhnlichen Abschluss einer trotz elf Siegen zwiespältigen Saison bilden dürfte. Nachdem die Italienerin Longo Borghini sich als Solistin in der Verfolgung verausgabt hatte und überholt worden war, beschattete van der Breggen indes die 31jährige Polin Niewiadoma bis zu deren Zielsprint. Ob sie aus Erschöpfung auf jede eigene Beschleunigung verzichtete oder ob der Europameisterin von 2016 (und Weltmeisterin von 2018 und 2020) Silber schlicht egal war, sei dahingestellt.

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