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Aus: Ausgabe vom 07.10.2025, Seite 5 / Inland
Immobilienmarkt

Wirtschaftsbremse Wohnungsnot

Mangel an Wohnraum verlangsamt laut neuer Studie Konjunktur. Deutlich weniger Wohnungen verfügbar als angenommen
Von Luca von Ludwig
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Nicht nur werden immer weniger Wohnungen gebaut, auch gibt es immer mehr Leerstand

Der Wohnungsmangel in der BRD stellt nicht nur Mieter immer öfter vor finanzielle Schwierigkeiten, sondern wird zunehmend auch zum Störfaktor der deutschen Volkswirtschaft. Allein in Westdeutschland fehlen mittlerweile rund 1,2 Millionen Wohnungen, ermittelte das Hannoveraner Pestel-Institut in einer am Montag vorgestellten Studie für die Immobilienmesse Expo Real, welche diese Woche in München stattfindet. Das schlage sich auch auf die Gesamtwirtschaft nieder, etwa weil ein Umzug zum immer größeren Hinderungsgrund für einen Jobwechsel werde.

Die Zahl der fehlenden Wohnungen liegt deutlich über den Angaben anderer Erhebungen. Das Pestel-Institut rechnet Langzeitleerstand aus dem Pool verfügbarer Wohnungen heraus. Bei mehr als der Hälfte der unbewohnten Objekte habe dieser Zustand zum Erhebungszeitpunkt bereits zwölf Monate und länger angedauert, heißt es in der Studie. In Regionen mit eher entspanntem Wohnungsmarkt werde solcher Bestand »zum größten Teil vermutlich nie wieder bezogen«. Die Immobilienforscher gehen davon aus, dass Arbeiten wie Sanierungen oder notwendige Abrisse mit anschließendem Neubau in ländlichen Gegenden niemals vorgenommen werden, weil sie nicht profitabel sind.

Leerstand trete dabei keineswegs nur in den ruralen Regionen, die ohnehin unter Bevölkerungsabwanderung leiden, auf. Selbst in Ballungszentren wie Frankfurt am Main oder Stuttgart liege die Quote oftmals deutlich über den – wegen Umzügen und ähnlichen Fluktuationen – als »notwendig« geltenden drei Prozent. In »Defizitregionen«, wo die Nachfrage das Wohnangebot drastisch übersteige, »können Haushalte mit niedrigem Einkommen faktisch nicht mehr umziehen«, so Matthias Günther, Geschäftsführer des Instituts.

Gründe für den Leerstand seien einerseits wirtschaftlicher Natur, etwa fehlende Geldrücklagen für Sanierungen, Erbstreitigkeiten und ähnliche Faktoren. Andererseits sei es aber auch schlichte Bequemlichkeit: »Gerade in Zweifamilienhäusern bleibt die zweite Wohnung oft unvermietet, weil die Eigentümer die Miete nicht brauchen und die Angst vor einem Mieter, mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen, überwiegt.« Erhebungen zeigten für Zweifamilienhäuser mehr als doppelt so hohe Leerstandsquoten wie für Einfamilienhäuser.

Der Sozialverband VdK mahnte zudem an, dass besonders Senioren und Menschen mit Behinderungen von der Wohnungsnot betroffen sind. Für diese gebe es kaum adäquate, barrierearme Möglichkeiten. Die Zahlen des Pestel-Instituts bezeichnete Verbandspräsidentin Verena Bentele als »strukturelles Komplettversagen«; Wohnungsbauförderung sei das »Gebot der Stunde«.

Die Wohnungsnot wird derweil für die gesamte Volkswirtschaft zum Problem. Die BRD hat laut Studie »nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern einen generellen Arbeitskräftemangel«. Verstärkt durch demographische Faktoren – das Erreichen des Ruhestandes bei den besonders geburtenstarken Jahrgängen bei gleichzeitigem Erwerbseintritt relativ geburtenschwacher Generationen – sei dies nur durch Zuwanderung von rund 600.000 Arbeitern pro Jahr zu bewältigen. In den vergangenen 15 Jahren waren es im Schnitt lediglich 415.000. Das Anwerben von Arbeitskräften aus dem Ausland sei aber durch die Wohnungsnot gerade in den wirtschaftlichen Ballungszentren erschwert, die benötigten Zuwanderungsgewinne seien daher »unrealistisch«.

Während das Statistische Bundesamt zuletzt wieder steigende Zahlen bei den Baugenehmigungen für Wohnraumbau vermeldete, monierten die Studienmacher den Rückgang tatsächlich gebauter Wohnungen – »in Genehmigungen kann bekanntlich niemand wohnen«. Bereits 2024 sei die tatsächliche Bauaktivität um 42.000 Wohnungen oder 14,4 Prozent zurückgegangen. Für 2025 sei von einem Rückgang um 20.000 auf nurmehr 230.000 Wohnungen auszugehen.

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