Streit ums Dienstmodell
Von Philip Tassev
Die Union lässt nicht locker. Nun hat sich auch der Kanzler in die aktuelle Wehrpflichtdebatte eingeschaltet. »Ich bin dafür, dass wir das machen, was wir im Koalitionsvertrag verabredet haben, nämlich vorläufig freiwillig. Aber ich vermute, es wird bei Freiwilligkeit allein nicht bleiben«, sagte Friedrich Merz (CDU) am Sonntag abend in der ARD-Sendung »Caren Miosga«.
Damit stellt sich Merz – wenn auch diplomatischer – hinter den CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Der hatte das bisher geplante Wehrdienstmodell am Wochenende als »Wischiwaschi-Wehrpflicht« bezeichnet. Der Entwurf des »Wehrdienstmodernisierungsgesetzes« aus dem Hause von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) war im August vom Kabinett abgesegnet worden und sollte ursprünglich am Donnerstag im Bundestag erstmals beraten werden. Auf Drängen der Union einigten sich die Koalitionspartner in der vergangenen Woche darauf, den Tagesordnungspunkt auf die nächste Woche zu verschieben. Der Gesetzentwurf sieht in seiner bisherigen Fassung noch keinen Zwang zum Militärdienst vor, sondern setzt auf Freiwillige, um die anvisierte Truppenstärke von 260.000 aktiven Soldaten plus mindestens 200.000 Reservisten zu erreichen. Zur Zeit hat die Bundeswehr rund 180.000 aktive Soldaten.
Dieses Hoffen darauf, dass sich durch eine etwas höhere Besoldung, ein paar Vergünstigungen und einen Appell an den Patriotismus genug Rekruten finden, stört Söder, wie er dem Bayerischen Rundfunk sagte: »Das Problem ist, dass im Gesetz nicht steht, was passiert, wenn die Freiwilligkeit nicht reicht – und zu welchem Zeitpunkt dann wie viele Soldatinnen und Soldaten tatsächlich in die Wehrpflicht müssen.« In Anspielung auf die immer wieder von NATO-Propagandisten vorgebrachte Behauptung, »der Russe« könnte die Kriegsallianz 2029 angreifen, fügte Söder hinzu: »Wenn wir heute schon wissen, dass in drei bis vier Jahren Russland angriffsfähig scheint, dann müssen wir doch vorausschauen – und können nicht erst in drei, vier Jahren sagen: Ups, jetzt brauchen wir eine Wehrpflicht! Das fehlt, und das muss nachgearbeitet werden.«
Der Generalsekretär der SPD, Tim Klüssendorf, reagierte recht ungehalten auf die wieder entfachte Debatte und die Kritik an seinem Parteikollegen Pistorius. »Wir haben uns in der Koalition gemeinsam auf einen klaren Weg verständigt: Der neue Wehrdienst wird freiwillig sein. Punkt«, sagte er dem Stern am Montag. »Daran werden sich alle halten – auch Markus Söder.«
Klüssendorf begründete das mit seiner Sorge um »die Demokratie«: »Wer wieder und wieder Debatten aufwärmt, schwächt die Glaubwürdigkeit der Politik und verunsichert junge Menschen«, sagte er. Die Regierung müsse sich nun endlich an die Umsetzung der gemeinsam gesteckten Ziele machen. »Und mit dem neuen Wehrdienst werden wir sie erreichen.« Denn: »Wir werben bei jungen Menschen, sich in der Bundeswehr für unser Land zu engagieren – ohne Pflicht, aber mit Perspektiven: mit guter Ausbildung, attraktiven Chancen und hoher Anerkennung.«
Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, sprach sich im ARD-»Morgenmagazin« dagegen aus, noch länger zu diskutieren, aber dafür, »dass wir so schnell in eine Umsetzung mit hineingehen, dass wir ab Januar des nächsten Jahres die Fragebögen verschicken können, und dass wir idealerweise ab dem 1. Mai dann auch junge Soldatinnen und Soldaten dann in die Bundeswehr integrieren können«.
In der Frage »Zwang oder Freiwilligkeit« nimmt Breuer die sozialdemokratische Position ein: »Nun, lassen Sie uns doch erst mal ausprobieren«, sagte er. Im Vergleich zum Vorjahr habe die Bundeswehr »rund 19 Prozent mehr Freiwillige« gewinnen können.
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