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Aus: Ausgabe vom 07.10.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Argentinien

Narco-Affäre um Milei-Kandidat

Argentinien: Parteifreund tritt wegen Kontakt zu Drogenhändler nicht bei Wahl an. Durchmarsch für Präsidenten immer unwahrscheinlicher
Von Frederic Schnatterer, Buenos Aires
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Ohne Reue zurückgetreten: Kandidat Espert (l.) neben Karina Milei, der Schwester des Präsidenten (Buenos Aires, 7.9.2025)

Letztlich ging es doch ganz schnell. Am Sonntag abend (Ortszeit) hat José Luis Espert seinen Rücktritt von der Kandidatur bei den argentinischen Parlamentswahlen in drei Wochen verkündet. Auf X schrieb der Politiker und Intimus des ultraliberalen Präsidenten Javier Milei, »für Argentinien« mache er »einen Schritt beiseite«. Und weiter: »Ich habe meinen Rücktritt als Kandidat für das Amt des Nationalabgeordneten der Provinz Buenos Aires eingereicht, und Präsident Javier Milei hat beschlossen, diesen anzunehmen.«

Der Schritt kommt nach einer Woche, in der immer neue Details zu Esperts Verbindungen zu einem des Drogenhandels verdächtigen Geschäftsmann, Federico Machado, an die Öffentlichkeit gelangt waren. Am Sonntag der Vorwoche hatte das Onlinemedium El Diario AR berichtet, Espert habe 2019 insgesamt 200.000 US-Dollar für seinen Wahlkampf von Machado erhalten. Zunächst bestritt er jegliche Verbindungen zum mutmaßlichen Narco-Kriminellen. Zuletzt behauptete Espert, er habe ihn für Beratertätigkeiten entlohnt – alles ganz legal also. Die US-Justiz fordert derzeit die Auslieferung von Machado, um ihm in den Vereinigten Staaten den Prozess wegen Drogenhandels, Geldwäsche und Betrugs zu machen.

In seiner Erklärung auf X bezeichnete Espert die Vorwürfe am Sonntag als »eindeutig orchestrierte Aktion eines Systems, das Argentinien jahrzehntelang zerstört hat«. Dieses werde »durch eine gnadenlose Medienkampagne gegen meine Person unterstützt«. Er habe jedoch nichts zu verbergen, was er vor Gericht beweisen werde. »Die Zeit wird zeigen, dass alles eine große Lüge war, um den Wahlkampf zu diskreditieren und so zu verhindern, dass darüber diskutiert wird, was wir Argentinier tun müssen, um den Kurs unseres Landes zu ändern.« Auch Milei stellte sich am Sonntag erneut hinter Espert. Auf X schrieb der Staatschef: »Der tiefgreifende Wandel, den wir derzeit vorantreiben, ist das einzige, was zählt. Wir werden nicht zulassen, dass eine böswillige Operation ihn gefährdet.«

Der Schaden, den die argentinische Regierungspartei La Libertad Avanza und ihr Präsident davongetragen haben, dürfte allerdings nicht mehr rückgängig zu machen sein – schon allein, weil die Parlamentswahlen bereits in drei Wochen stattfinden werden. Espert ist ein enger Vertrauter von Milei. Beide hatten sich 2008 in New York kennengelernt, Milei nennt ihn »el profe« (der Lehrer oder Professor). 2019 trat Espert bei der Präsidentenwahl für den Frente Despertar an, wobei er auf weniger als 1,5 Prozent der Stimmen kam. Vor der Parlamentswahl 2021 kam es zum Streit mit Milei, der damals ebenfalls in die Politik einstieg. Erst im Februar dieses Jahres versöhnten sich die beiden Männer wieder, und Espert trat in La Libertad Avanza ein.

Die Krise, in der sich die argentinische Regierung befindet, wird immer tiefer. Der um Espert ist bereits der dritte mutmaßliche Korruptionsskandal im laufenden Jahr, in den Mitarbeiter aus dem innersten Kreis der Regierung involviert sind. Im Februar war es der Staatschef selbst, der eine Kryptowährung bewarb, die sich als »Shitcoin« herausstellte. Mit Beteiligten der Betrugsmasche soll Milei zuvor in Kontakt gestanden haben. Seit August sieht sich seine Schwester Karina Milei, die an der Spitze von La Libertad Avanza steht und in der Regierung die Funktion der Generalsekretärin einnimmt, Vorwürfen ausgesetzt, sich drei Prozent von Schmiergeldzahlungen für Aufträge der staatlichen Behindertenagentur Andis in die Tasche gesteckt zu haben. Milei war Ende 2023 mit dem Versprechen angetreten, die Korruption in Argentinien zu beenden und nicht so zu sein wie »die anderen«.

Ohne erneute finanzielle Hilfe durch die US-Regierung dürften die drei bis zur Wahl verbleibenden Wochen für die Regierung ziemlich lang werden. Ein Wahlerfolg für La Libertad Avanza ist mittlerweile ohnehin unwahrscheinlich. Am 26. Oktober wird die Hälfte der Sitze im Abgeordnetenhaus und ein Drittel derer im Senat neu belegt. Die Milei-Partei, die derzeit in keiner der beiden Kammern auch nur annähernd über eine Mehrheit verfügt, bräuchte einen Erfolg, um die zwei verbleibenden Jahre Amtszeit regieren zu können.

Hintergrund:Ablehnung steigt

Die anhaltende Wirtschaftskrise Argentiniens, dazu ein Skandal nach dem anderen: Das geht nicht spurlos an der Regierung von Präsident Javier Milei vorbei. 64,7 Prozent der Argentinier lehnen dessen Regierung inzwischen ab, so eine am Sonntag (Ortszeit) veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Zubán Córdoba. Das ist der niedrigste Wert seit Amtsantritt. Vor einem Jahr waren es noch 52,7 Prozent.

Auch mit Blick auf die Parlamentswahlen am 26. Oktober sinkt die Zustimmung für Mileis extrem rechte Partei La Libertad Avanza (LLA). Laut der jüngsten Umfrage wollen ihr nur noch 35 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme geben – 3,4 Prozent weniger als im Vormonat. Die linksperonistische Formation Fuerza Patria (FP) kommt dagegen auf 36,4 Prozent und zieht damit erstmals seit Mileis Amtsantritt in den Umfragen an dessen Partei vorbei. Einen Monat zuvor kam die FP noch auf lediglich 27,1 Prozent. Der Wahlsieg der wichtigsten Oppositionskraft in der Provinz Buenos Aires Anfang September scheint sie beflügelt zu haben. Mit einem Vorsprung von über 13 Prozentpunkten hatte die FP überraschend deutlich gegen Mileis LLA gewonnen. Das Ergebnis könnte richtungsweisend für die anstehenden Parlamentswahlen sein: Immerhin leben 40 Prozent der argentinischen Wahlberechtigten in der Hauptstadtprovinz.

Ausschlaggebend für den Aufschwung der Peronisten dürften jedoch die steigende Armut und die zunehmende wirtschaftliche Perspektivlosigkeit der Mehrheit der Bevölkerung sein. Während Milei Steuergeschenke für Großkonzerne und Reiche macht, gaben im September 60,9 Prozent der Menschen an, Sorge zu haben, dass das Geld nicht zum Leben ausreicht. (dss)

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