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Aus: Ausgabe vom 07.10.2025, Seite 1 / Titel
Frankreich

Aus in der Probezeit

Frankreichs Regierungschef Lecornu zurückgetreten – extreme Rechte greift nach Macht
Von Hansgeorg Hermann
Abgang. Frankreichs Nichtregierungschef verabschiedet sich (Paris, 6.10.2025)
Kaum im Amt, ist Sébastien Lecornu schon wieder zurückgetreten (Paris, 4.10.2025)

Nur 27 Tage schaffte Sébastien Lecornu als französischer Regierungschef: Am Montag vormittag hat er seinen Rücktritt bei Staatschef Emmanuel Macron eingereicht. Dieser hatte ihn am 9. September nominiert. Lecornu ist damit der vierte gescheiterte Premier seit Dezember 2023 – ein politisches Chaos, für das die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung den Präsidenten der Republik verantwortlich macht. Im Juni 2024 hatte Macron das Parlament aus rein machtpolitischen Gründen aufgelöst und die ihn tragende Partei Renaissance bei den drei Wochen später folgenden Neuwahlen um die absolute Mehrheit gebracht. Statt »demokratischen Regeln« zu folgen und einen Kandidaten aus den Reihen der Wahlsieger des linken Nouveau Front Populaire (NFP) zu nominieren, ernannte Macron Politiker seines eigenen Lagers – der wirtschaftsliberalen Rechten –, die jeweils nach wenigen Wochen von den Oppositionsparteien der Linken wie auch der extremen Rechten gestürzt wurden. Seit Montag fordert die Opposition erneut vorgezogene Wahlen und, wie das ultrarechte Rassemblement National (RN), Macrons Rücktritt. Bei Neuwahlen gilt der RN in allen Umfragen als haushoher Favorit.

In einer kurzen Stellungnahme erklärte Lecornu, er habe weder mit den bürgerlich-rechten Les Républicains (LR) noch mit den Sozialdemokraten des Parti Socialiste (PS) einen Konsens zur Verabschiedung des Staatshaushalts für 2026 erreichen können und es abgelehnt, diesen mit Hilfe des Verfassungsartikels 49.3 per Dekret durchzusetzen. Keine Einigung sei außerdem bei der Zusammensetzung einer neuen Regierung erreicht worden, die der vorherigen, vor vier Wochen in der Nationalversammlung abgewählten Ministerriege des damaligen Premiers François Bayrou folgen sollte. In der Tat hatte Macron dem Premier am Sonntag abend Bayrous alte Truppe aufgedrückt – ohne wichtige Figuren wie den aktuellen Innenminister Bruno Retailleau zu konsultieren. Der Chef und Repräsentant des reaktionären Flügels der Republikaner berief daraufhin für Montag morgen eine Krisensitzung seiner Partei ein. Doch noch vor ihrem Beginn trat Lecornu zurück.

Retailleau gilt als Wegbereiter einer sich seit Monaten anbahnenden Partnerschaft mit der extremen Rechten. RN-Chef Jordan Bardella forderte die LR auf, zusammen »für gemeinsame Ziele« – zum Beispiel die Vertreibung von Immigranten aus Frankreich – zu kämpfen. Das Ziel ist klar: Sollte der RN bei Neuwahlen die absolute Mehrheit verfehlen, bräuchte Bardella zumindest einen Teil der Republikaner, um als eventueller Premier sein politisches Programm durchsetzen zu können.

Die Nominierung eines linken Politikers zum Regierungschef gilt als »letzte Patrone« Macrons – vor einer neuerlichen Auflösung der Abgeordnetenkammer oder seinem eigenen Rücktritt. Als Premierkandidat wurde am Montag Olivier Faure genannt, der Vorsitzende der Sozialdemokraten. Faure könnte allerdings weder mit der Unterstützung der weiter links eingeordneten France Insoumise (LFI) von Jean-Luc Mélenchon noch mit einer der rechten bis extrem rechten Fraktionen im Parlament rechnen. Dem Land droht vielmehr eine »Union der Rechten« an der Regierung, die sowohl Neuwahlen als auch die Präsidentschaft gewinnen könnten. Zusatzproblem: Die Verfassung verlangt dringend die Vorlage des Haushalts für 2026 im Ministerrat bis spätestens 13. Oktober.

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