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Aus: Ausgabe vom 06.10.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Konflikt um die Westsahara

Ein Lebenszeichen

Maria Klenner und Alida Koos versammeln Stimmen aus der Westsahara
Von Jörg Tiedjen
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Auch mit einem Beitrag vertreten: Omar Deidih im Jahr 2021

Auf den ersten Blick könnte es sich bei »Widerworte« um ein neues Kulturmagazin handeln. Da ist zum Beispiel die Aufschrift »Oktober 2025« auf dem Titel. Doch sie ist doppeldeutig. Sie bezeichnet nicht nur das Erscheinungsdatum, sondern auch den Anlass: Vor einem halben Jahrhundert fielen marokkanische, dann mauretanische Truppen in die Westsahara ein und heizten damit einen Konflikt an, der bis heute andauert und nicht erst seit dem Bruch der Waffenruhe durch Marokko 2020 und der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes durch die Befreiungsfront Polisario bewiesen hat, welche Sprengkraft er über die Region hinaus beinhaltet.

Das wird noch immer kaum erkannt. Marokko ist es gelungen, eigene Versionen der Geschehnisse zu verbreiten. Im Zentrum dieser Mythen steht der »grüne Marsch«, eine gewaltige Show, die Marokkos König Hassan II. parallel zum Einmarsch veranstaltete und bei der er Hunderttausende Marokkaner in die einstige spanische Kolonie vordringen ließ, um sie symbolisch »heimzuholen«. Mittlerweile greifen sogar Palästina-Aktivisten wie die linke französische EU-Abgeordnete Rima Hassan das Märchen von der »friedlichen Rückgewinnung« der Westsahara auf und fordern einen »grünen Marsch« auch für Gaza. Vernebelt wird so, dass beide Konflikte, der im Nahen Osten und der im Maghreb, auf Kolonialismus beruhen und man auf dieselben Akteure trifft – Marokko und Israel sind Verbündete.

Die Fotografin Maria Klenner und die Aktivistin Alida Koos wollten die Propaganda nicht so stehen lassen und haben in »Widerworte« Sahrauis selbst zu Wort kommen lassen, ob aus den marokkanisch besetzten Gebieten, den Flüchtlingslagern beim algerischen Tindouf oder der Diaspora. Den Beginn der marokkanischen Besetzung schildert die Reportage »Zwischen Blut, Sand und Schweigen«. Die darin porträtierte Jadiyetu Ali musste im Alter von 14 Jahren vor Napalm und Phosphorbomben fliehen – und 2021 nach einem Drohnenangriff, der ihren Bruder tötete, erneut.

Mehrere der insgesamt 22 Beiträge gehen auf Hintergründe des Konflikts ein. Etwa die Krise der marokkanischen Monarchie, die nach Putschversuchen 1971 und 1972 geschwächt war. Im Oktober 1975 lag der spanische Diktator Francisco Franco auf dem Sterbebett. Hassan II. ergriff die Gelegenheit, sich an die Spitze der marokkanischen Nationalisten mit ihrem Traum vom »Großmarokko« zu setzen. In diesem Zusammenhang wird natürlich auch der Ressourcenreichtum der Westsahara beleuchtet. Die Strategie, die völkerrechtswidrige Besetzung etwa durch Errichtung von Windparks »grünzuwaschen«, wird ausgiebig beleuchtet.

Ein erfreulicher Moment beim Aufschlagen des »Zines«, wie es die Herausgeberinnen nennen, war, Omar Deidih unter den Autoren zu entdecken. 2021 hatte jW auf Einladung der Polisario-Front mit einer Journalistendelegation das Kriegsgebiet in der Westsahara besucht und dabei auch Deidih getroffen – der im Morgengrauen Sunzis »Kunst des Krieges« las, eine Pflichtlektüre für Freiheitskämpfer, wie er sagte. Das Lebenszeichen ist ein langer Text über den Mitbegründer der Polisario und sahrauischen Nationalhelden Al-Wali Mustafa Sajed.

Maria Klenner, Alida Koos: Widerworte. Sahrauische Perspektiven auf über 50 Jahre Widerstand gegen Kolonialismus in der Westsahara. Selbstverlag, 132 Seiten, 15 Euro (Solipreis 20 Euro), Bestellungen unter westernsahara.de

Die Herausgeberinnen stellen »­Widerworte« am 9. Oktober um 19 Uhr im Medico-Haus, Lindleystr. 15, Frankfurt am Main vor

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