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Aus: Ausgabe vom 06.10.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Die gestohlene Zeit

Christian Ditters Neuverfilmung von Michael Endes Jugendbuch »Momo«
Von Marc Hairapetian
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Die Uhr läuft: Alexa Goodall als Momo

»Ich bin Bibibot – Der ultimative Buddie!«, stellt sich schneidig der fliegende Roboter (deutsche Stimme: Clara Ditter) dem Mädchen Momo (Alexa Goodall) in der gleichnamigen Neuverfilmung des Kinderbuchklassikers von Michael Ende vor. Die jüngste Erfindung der Gestalten in den grauen Gewändern, die eine namentlich nicht genannte (südost)europäische Metropole seit geraumer Zeit unsicher machen, um den Leuten nichts anderes als eben ihre Zeit zu stehlen, behagt dem allein in einem Amphitheater lebenden Waisenkind Momo allerdings gar nicht: »Wie soll ich denn mit einer Maschine befreundet sein?« Doch das selbstständig agierende Computerprogramm gibt nicht auf: »Ok, ich kann warten.«

Dies ist eine der wenigen gelungenen Szenen des von Regisseur und Drehbuchautor Christian Ditter (»Vorstadtkrokodile«, 2009; »Wickie auf großer Fahrt«, 2011) in Kroatien auf Englisch gedrehten Version, in der eine Anpassung der Originalvorlage an die heutige Welt vorgenommen wird. In dem 1974 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichneten »Märchen-Roman« »Momo oder die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte« ist es nämlich kein »Bibibot«, sondern »Bibigirl, die vollkommene Puppe«, die vergeblich versucht, die mit der besonderen Gabe des Zuhörens befähigte Momo von ihren Freunden zu entfremden. Die Kritik am »Immer mehr haben wollen« war für Ende, den Schöpfer von »Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer« (1960) und »Die unendliche Geschichte« (1979), in »Momo« zentral. Diese Kritik fehlt in diesem nach »Geh doch zu Momo« (Peter Podehl, 1975) aus der WDR Kinderliteraturreihe »Lemmi und die Schmöker«, »Momo« (Johannes Schaaf, 1986) oder dem italienischen ­Anime: »Momo alla conquista del tempo«, (Enzo d’Alò, 2001) neuerlichen Versuch, den philosophisch-poetischen Stoff zu ­adaptieren.

»Wäre Zeit unendlich, so müsste es auch jede Sekunde sein. Ist sie aber endlich, so ist sie im Grunde nur Schein in einer zeitlosen Wirklichkeit«, heißt es bei Ende. Von derartigen Reflexionen ist die auf Realverfilmungen von Kinderbüchern spezialisierte Münchener Rat Pack Filmproduktion weit entfernt. Was bei den beiden »Jim Knopf«-Filmen (2018 und 2020) noch gelang, weil Regisseur Dennis Gansel die Vorlagen bewusst nicht modernisierte, versagt hier wegen der Umgestaltung auf Teufel komm raus komplett. Aus der Armee der »Grauen Herren« sind, mit zu wenigen Statistinnen, inzwischen auch »Graue Damen« geworden. Der unvermeidliche Claes Bang als Richter bleibt weit hinter Armin Mueller-Stahls Interpretation von 1986 zurück. Aus Momos Freund Gigi Fremdenführer wird der Junge Gino, der nicht mehr Geschichtenerzähler im Fernsehen ist, sondern zum »Influencer mit 150.000 Followern« mutiert. Und Martin Freemann gibt mit seiner süßen, leider schlecht animierten Assistenzschildkröte Kassiopeia im Gegensatz zu John Huston den »Hüter der Zeit«, Meister Hora, eher albern.

Auch Alexa Goodall wirkt als moderne Jesuskindfigur Momo fehlbesetzt. Sie sieht mit ihrer rotbraunen Lockenpracht mehr wie Ronja Räubertochter aus. Léonie Thelen (1975) und Radost Bokel (1986) waren in ihrer zarten Melancholie überzeugender. Zudem macht Christian Ditters im letzten Drittel auf CGI-Actionthriller getrimmter Film, der einen in der auch noch extrem schlecht synchronisierten deutschen Fassung kaum berührt, einen seltsam gehetzten Eindruck. Mit einer Spieldauer von nur 91 Minuten hat man bei dem an sich epischen Stoff den Eindruck, als wären hier die wahren Filmzeitdiebe ans Werk gegangen.

»Momo«, Regie: Christian Ditter, Deutschland 2025, 91 Min., bereits angelaufen

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