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Aus: Ausgabe vom 06.10.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kabarett

Das Lachen im Halse

Der »Eddi« ist der zweitälteste Kabarettpreis Deutschlands. Am 4. Oktober bekam ihn der atemberaubende Reiner Kröhnert in Berlin-Karlshorst
Von Ronald Kohl
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Der Grökaz (größter Kabarettist aller Zeiten): Reiner Kröhnert mit »Eddi« backstage in Karlshorst

»Was geht denn hier für eine Kanalratten­scheiße ab? Was seid ihr für drei Vollarschlöcher? Und wie komme ich hier eigentlich her?« – Keiner konnte den einstigen Bayern-Star Mario Basler besser parodieren als der Kabarettist Reiner Kröhnert, der in den 90er Jahren noch regelmäßig mit seinen Solonummern im Fernsehen auftreten durfte, und zwar sowohl in den politsatirischen Sendungen der dritten Programme als auch bei RTL. Am vergangenen Sonnabend bekam er im Kulturhaus Karlshorst für sein Gesamtwerk den »Eddi« verliehen; einen Preis, den Edgar Külow gemeinsam mit dem Grafiker Heinz Behling 1981 ins Leben gerufen hatte, schon damals mit dem Anliegen, »Nichtwürdenträger« zu ehren.

Bei meiner Recherche zu den Anfängen stoße ich recht schnell auf eine Liste der ersten Preisträger. Unter ihnen der bis heute überaus aktive Schauspieler Peter Bause. Mein Anruf bei ihm löst eine ziemlich heftige Reaktion aus. Bause ist außer sich, weil er durch mich überhaupt erst von der Preisverleihung am 4. Oktober erfährt. »Wir alten Preisträger, viele leben ja nicht mehr, wurden einfach ausgebootet.« »Darf ich das so schreiben?« »Ach, schreiben Sie doch, was Sie wollen.« Dann erzählt er mir von der kleinen Gipsfigur, die man früher als Preis bekommen hat und die »wie der Eddi Külow aussah«, nur mit überproportional langen Fingern. »Ich habe damals gesagt: Die hat er, dass der Edgar Külow schneller seine Gage einsacken kann.« Das erzählt er lachend und bester Laune. Großartiger Schauspieler.

Mein Gespräch mit dem diesjährigen Preisträger Reiner Kröhnert verläuft weniger dramatisch (die Dramen liegen hinter ihm). Angefangen hat alles auf dem Schulhof, in den 60er Jahren, in der tiefsten westdeutschen Provinz. Während andere Jungs die Aufmerksamkeit der Mädchen mit dem Erzählen von Witzen auf sich zu ziehen versuchten, hat Kröhnert die Lehrer nachgemacht. Später kam das Politische hinzu. Seine erste Kabarettgruppe nannte sich »Stacheldraht«. Er lebte in Westberlin, steckte irgendwann in einer tiefen Krise und entschloss sich spontan, in die DDR überzusiedeln. »Der Westbeamte hat mich noch durchgelassen. Aber der DDR-Grenzer hat nur gesagt: Geh mal lieber zurück!« Um so mehr freut es ihn, nun, 40 Jahre später, im Ostteil der Stadt doch noch willkommen zu sein.

Moderiert wird die Veranstaltung von der Lichtenberger Stadträtin Catrin Gocksch (CDU). Ihr erster Gast auf der Bühne ist Jürgen Klammer, der gemeinsam mit Edgar Külows Sohn Volker das Buch »Der rote Blitz«, das aus dem Leben unseres »Eckenbrüllers« erzählt, verfasst hat. Außerdem hat Klammer im Selbstironieverlag etliche Bücher über die Besonderheiten und Kuriositäten des Kabaretts im Osten veröffentlicht. Auf die Frage, wie groß denn 35 Jahre nach dem Ende der DDR noch das Interesse an der damaligen Kabarettszene sei, antwortet er: »Wenn ich mir den Verkauf meiner Bücher ansehe, muss ich feststellen, dass es kein Interesse gibt.«

Überhaupt sorgt sein Fatalismus für etliche Lacher, so dass ich Klammers Erscheinen auf der Bühne ohne Übertreibung (und ganz ohne Ironie) als glänzend improvisiertes Warm-up für das Programm des Preisträgers erlebe.

Reiner Kröhnert hat seiner neuen Nummer den Namen »ER« gegeben, in Anlehnung an Stephen Kings »ES«. Und wenn das von Angela Merkel einst lebendig begrabene Schreckgespenst, der Boogeyman aus dem Sauerland, die Bühne betritt und seine schwarze Jacke zuknöpft, den Blackrock, bestimmt ER die neue, finale Richtung: »Wir müssen einfach wieder, und dafür werde ich mich als Bundeskanzler einsetzen, mehr Krieg wagen. Schließlich war das mal unsere Kernkompetenz.« Das Publikum spürt sofort: Hier spricht nicht irgendein Kanzler. Der, den Kröhnert in Aussehen, Wort und Gestik so perfekt spielt, wird als der »Grökaz« in die Geschichte eingehen, als der »größte Kanzler aller Zeiten«.

Doch auch wenn Friedrich Merz als Witzfigur dargestellt wird: Lustig findet Reiner Kröhnert das, was sich hier anbahnt, gar nicht. Sobald er, das hatte in Karlshorst Premiere, in die Rolle eines wahnsinnigen, aber doch hellsichtigen Klaus Kinski schlüpft, halten alle im Saal den Atem an.

Während unseres Telefonats habe ich Reiner Kröhnert gefragt, ob es denn einen Unterschied zwischen dem Publikum im Osten und dem im Westen gebe. »Ja, früher war da ein Unterschied, aber den spürt man kaum noch. Im Laufe der Jahrzehnte haben auch im Osten Konzentration und Disziplin nachgelassen.« Davon konnte am Sonnabend im Kulturhaus Karlshorst ganz bestimmt keine Rede sein. Wir hatten alle viel zuviel Respekt vor dem Grökaz, dem größten Kabarettisten aller Zeiten!

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