Im Trend
Von Reinhard Lauterbach
Angesichts des tschechischen Wahlergebnisses ist Panik so wenig angesagt wie Vorfreude. Andrej Babiš wird nicht durchregieren können, zumal das »proeuropäische« Lager den Staatspräsidenten Petr Pavel auf seiner Seite hat, einen früheren NATO-General. Und der hat bereits angekündigt, er werde sich die Regierungsbildung »sehr genau ansehen«. Andererseits teilt auch Pavel bei aller seiner Vergangenheit den für die politische Kultur Tschechiens charakteristischen Pragmatismus. Er hat noch vor wenigen Tagen die Ukraine aufgefordert, die Frage des Verlusts von Territorien an Russland erst einmal zurück- und die Beendigung des Krieges in den Vordergrund zu stellen. Wann hat man aus Berlin oder Brüssel solche Töne zuletzt gehört? Lang, lang ist es her.
Die Tschechen können vor allem eines: rechnen. Wenn Andrej Babiš im Wahlkampf darauf hingewiesen hat, dass das Geld, mit dem Tschechien weltweit Hunderttausende Artilleriegranaten für die Ukraine zusammengekauft hat, inzwischen buchstäblich verpulvert worden ist, traf er offenkundig einen Nerv bei der Wählerschaft. Dass er seinen Wahlsieg vorzugsweise den Stimmen von der Peripherie des Landes verdankt, ist ein Phänomen, das man mit dem Aufstieg der AfD in der deutschen politischen Szene vergleichen kann. Die Leute in Tschechien sind vermutlich der ständigen leeren Versprechungen müde, die sie nur ihr Geld kosten, aber ihr Leben nicht zum Besseren verändern. Ob Babiš seine eigenen Versprechungen, Tschechien »zum lebenswertesten Platz der Welt zu machen«, erfüllen kann, ist natürlich mehr als zweifelhaft. Aber sein Erfolg zeigt, dass das Phänomen Donald Trump nicht auf die USA beschränkt ist. Ebenso wie die Frustration über eine Klimapolitik, die den Leuten nur höhere Kosten verheißt, in Tschechien eine »Autofahrerpartei« ins Parlament gespült hat, die vermutlich das Kind mit dem Bade ausschütten und das heilige Bürgerrecht zum Rasen und Vermüllen proklamieren wird. Hören wir nicht Ähnliches aus Bayern?
Es stimmt schon: Die Wahl in Tschechien war eine Wahl des Ressentiments, eine Wahl gegen die Brüsseler Eliten und deren lokale Stellvertreter. Aber wie es mit Ressentiments so ist: Selbst wenn sie einen wahren Grund haben mögen, sind ihre Konsequenzen in der Regel schrecklich. Die faschistische Partei SPD in der Regierung, die den in Tschechien lebenden Roma das Leben erschweren und ukrainische Geflüchtete wieder abschieben will? Schon das klägliche Abschneiden des Linksbündnisses »Es reicht!« zeigt, dass bei aller möglichen Genugtuung über die Ohrfeige, die das liberale Lager in Tschechien bekommen hat, die einfache Negation des Liberalismus nicht unbedingt bessere Ergebnisse bringt. Man kann vermutlich soviel bilanzieren: Tschechien liegt im europäischen Trend. Mehr davon wird folgen.
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