»Es sollen möglichst viele weggesperrt werden«
Interview: Henning von Stoltzenberg
Am 26. September wurde die Nürnberger Antifaschistin Hanna S. vor dem Oberlandesgericht München zu fünf Jahren Haft verurteilt. Was ist der Hintergrund?
Im Mittelpunkt des Prozesses standen körperliche Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und Neonazis im Februar 2023 in Budapest. Hanna wird vorgeworfen, daran beteiligt gewesen zu sein. Zu den Auseinandersetzungen kam es am Rand antifaschistischer Proteste gegen das jährlich dort stattfindende NS-Großevent »Tag der Ehre«. Seither läuft eine ungarisch-deutsche Treibjagd auf Antifaschisten: Zahlreiche linke Aktivisten wurden verhaftet, angeklagt und mit Auslieferung bedroht. Diejenigen, die gegen dieses »braune« Event protestiert haben, werden durch die Repressionsbehörden zu einer »kriminellen Vereinigung« erklärt.
Wie bewerten Sie das Strafmaß?
Mit der verhängten Strafe blieb das Gericht immerhin hinter der absurden Forderung der Bundesanwaltschaft zurück, die neun Jahre Haft für Hanna beantragt hatte. Grundlage dafür war der Vorwurf des versuchten Mordes, den der Generalbundesanwalt konstruiert hat. Selbst das Gericht hat diesen Vorwurf immer zurückgewiesen.
Aufrechterhalten wurden hingegen die Vorwürfe der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und der gefährlichen Körperverletzung. Wir gehen davon aus, dass die Bundesanwaltschaft von vornherein hoch gepokert hat, um eine möglichst lange Haftstrafe für Hanna zu erreichen, auch wenn sie sich mit dem versuchten Mordkonstrukt dann nicht durchsetzen konnte.
Wie schätzt die Rote Hilfe die politische Bedeutung des Urteils ein?
Das Oberlandesgericht München hat klargemacht, dass es um Gesinnungsurteile geht. Indem Hanna fünf Jahre weggesperrt werden soll, markiert die Justiz alle Antifaschisten als Feindbild. Das ist ein Teilbereich der fortschreitenden Rechtsentwicklung. Es ist offensichtlich, dass es darum geht, ein Exempel zu statuieren. Die antifaschistische Bewegung soll eingeschüchtert und von politischen Protesten abgehalten werden. Besonderes Augenmerk legen die Repressionsbehörden seit jeher darauf, zu verhindern, dass länderübergreifende Zusammenarbeit linker Aktivisten stattfindet.
Der gesamte Prozess beruhte ausschließlich auf Indizien, und weder Zeugen noch Beweismittel konnten eine Verbindung zwischen Hanna und den Aktionen in Budapest herstellen. Um über das Fehlen jeglicher handfester und juristisch verwertbarer Hinweise hinwegzutäuschen, wurden unwissenschaftliche Körpervermessungen vorgenommen. Dazu wurden Einschätzungen sogenannter Superrecognizer herangezogen, also von Polizeibeamten, die angeblich ein angeborenes Talent zur Gesichtserkennung haben. Dieser Bereich der Ermittlungstätigkeit ist zu Recht sehr umstritten.
Sehen Sie Verbindungen zu anderen Prozessen gegen die antifaschistische Bewegung?
Wir sehen den politischen Prozess in München als eine Blaupause für die kommenden Verfahren gegen Antifaschisten, die im »Budapest-Komplex« und im »Antifa-Ost-Komplex« angeklagt sind. In den nächsten Monaten sollen zwei Prozesse in Düsseldorf und Dresden gegen weitere 13 Personen beginnen, die sich gegen Naziumtriebe zur Wehr gesetzt haben sollen. Hier versucht sich die Bundesanwaltschaft an weiteren Konstrukten, um sowohl möglichst viele Aktivisten als auch beide Verfahrenskomplexe in Verbindung zu bringen. Das Ziel ist klar: Es sollen möglichst viele mit möglichst hohen Haftstrafen weggesperrt werden.
Wie wehren Sie sich gegen diese Repression?
In diesen Zeiten wird es noch wichtiger, solidarisch zusammenzustehen und die Betroffenen aktiv zu unterstützen. Wir fordern weiterhin die Freilassung aller inhaftierten Antifaschisten. Es ist die Aufgabe aller Menschen, die sich gegen rechts engagieren, ihren Wirkungskreis zu nutzen und sich gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus zu stellen.
Das kann heißen, die Prozesse zu beobachten, für die Prozesskosten zu spenden, Briefe zu schreiben und vieles mehr. Dazu verweisen wir auf unsere aktuelle Kampagne »Wir sind alle Antifa«.
Hartmut Brückner ist Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Amir Cohen/REUTERS11.09.2025
Pflicht zur Strafverfolgung
- EST&OST/MAGO19.02.2025
Inszenierung als Terrorprozess
- Moritz Schlenk/IMAGO20.01.2025
»Dieser überzogene Vorwurf soll Hanna einschüchtern«
Mehr aus: Inland
-
Angst als Instrument
vom 06.10.2025 -
Dobrindts »Return Hubs«
vom 06.10.2025 -
Drohnen in Dauerschleife
vom 06.10.2025 -
ZF Friedrichshafen setzt Rotstift an
vom 06.10.2025