junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Oktober 2025, Nr. 230
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 04.10.2025, Seite 11 / Feuilleton
Oper

Die Welt im Lokalen

Ludger Vollmers Oper »Rummelplatz« nach dem Romanfragment von Werner Bräunig am Theater Chemnitz
Von Kai Köhler
11.jpg
Die Mühen des Bergbaus

Chemnitz ist Kulturhauptstadt Europas 2025. Eine ideale Oper zu diesem Anlass hat lokalen Bezug und ist zugleich von übergreifender Bedeutung. Denkbar geeignet ist dafür Werner Bräunigs Romanfragment »Rummelplatz«. Handlungsrahmen ist der Wismutbergbau in der frühen DDR, nicht weit von Karl-Marx-Stadt entfernt. Thema sind Aufbruchshoffnungen und Hindernisse auf dem Weg zum Sozialismus. Nach scharfer kulturpolitischer Kritik brach der überzeugte Kommunist Bräunig 1966 die Arbeit an dem Roman ab. Erst 2007, lange nach seinem Tod, erschien der Text. Was als Warnung vor Fehlentwicklungen im Sozialismus angelegt war, konnte nun als Analyse seines Scheiterns gelesen werden.

Jenny Erpenbeck hat den sehr umfangreichen Text für ihr Libretto geschickt auf wenige Zentralpersonen und Brennpunkte der Handlung konzentriert. Deutlich werden die Aufgaben: mit vom Krieg erschöpften, teils brutalisierten Menschen etwas Neues zu schaffen; unter sowjetischer Leitung trotz unzulänglicher Mittel den Abbau zu forcieren, damit das nach Hiroshima dringliche Atomwaffenprogramm Rohstoffe bekommt. Wo Probleme auftreten, wenn ein Unfall geschieht, heißt es: Saboteure. Die Erfahrung und richtige Erkenntnis, von Feinden umgeben zu sein, produziert Verfolgung und macht damit auch Leute zu Feinden, die noch gar keine waren.

Eine der zentralen Personen ist der Obersteiger Hermann Fischer, der als Kommunist Lagerhaft erlitten hat und nun beim Aufbau des Sozialismus mitwirkt. Jaco Venter gibt der Figur, die durchaus als Sympathieträger angelegt ist, beeindruckend Stimme und Gestalt. Fischer ist Dogmatismus fremd, er weiß Lagen einzuschätzen und mit Menschen umzugehen. Dazu ist er auch darum gezwungen, weil er es mit teils schwierigem Personal zu tun bekommt. Der Akademikersohn Christian Kleinschmidt zum Beispiel ist nur da, weil er sich in der Produktion zu bewähren sucht, um doch noch einen Studienplatz zu bekommen. Vollmer hat die Rolle für die höchste männliche Stimme geschrieben, einen Counter­tenor, und so einen Klang für das Fremde Kleinschmidts in der Bergbauwelt gefunden. Etienne Walch setzt das überzeugend um.

Dritte männliche Hauptfigur ist der von Thomas Essl gesungene Peter Loose, ein Kleinkrimineller, der statt Knast die Verpflichtung für den Bergbau gewählt hat. Anarchische Selbsthelfer wie er treten in der frühen DDR-Literatur häufig auf: Moritz Tassow im gleichnamigen Theaterstück von Peter Hacks, der Kipper Paul Bauch bei Volker Braun. Sie wollen intensiv leben, also etwas leisten, aber sie sind schwer in die Arbeit fürs Ganze einzubeziehen. Peter Loose ist keiner von den verbliebenen Nazis. Er hasst jede Ordnung. Das erweist sich als noch gefährlicher. Auf dem titelgebenden Rummelplatz ist er der Held. Wie er bei der Arbeit ranklotzt, so beim Feiern. Eine nach Ansicht der Ordnungskräfte extensive Tanzveranstaltung wird ihm zum Verhängnis; er gilt als westlich dekadent und folglich als Saboteur.

Vollmer hat zu all dem eine wirkungssichere, rhythmisch pointierte Musik geschrieben. Er verschmäht keine erprobten Mittel der Tradition und verfällt dabei nicht ins Klischee. Die komplexesten Stellen sind für Szenen des Chaos oder der Katastrophe geschrieben, stehen also für das Schlechte. Zitate fungieren als Bedeutungsträger, von der »Loreley« über den revolutionären Trauermarsch »Unsterbliche Opfer« bis zur sowjetischen Hymne. Kurz: Vollmer komponiert nicht für eine Neue-Musik-Szene, er will dem Publikum etwas mitteilen.

Die DDR lehnt er ab: »Ich widme meine Komposition denjenigen, die am 17. Juni 1953 gegen die stalinistische Diktatur aufstanden, und denen, die am 11. November 1989 diese Diktatur überwanden und unserem Land mutig den Weg in die Freiheit öffneten.« Doch erweist sich der Künstler Vollmer als stärker denn der Ideologe. Gegen Ende der Oper kommt der Aufstand vom 17. Juni auf die Bühne, und der Kommunist Fischer, der zu seiner Sache steht, wird von Demonstranten getötet. Vollmer gibt den Mördern, also seinen Widmungsträgern, ähnliche musikalische Chiffren wie zuvor den Machthabern. Er komponiert kein Schema von Gut und Böse, sondern die Härte der Kämpfe.

Jenny Erpenbeck hat dem Fragment einen Epilog hinzugefügt. Nach dem Anschluss der DDR an die BRD steht Ruth (Menna Cazel), Fischers Tochter, vor der Abwicklung des Bergbaus. In der frühen DDR stimmte der Vater widerstrebend Emanzipation und Berufstätigkeit zu – nach der Niederlage ihres Staats wird das zerstört. Sie trifft den Professorensohn, der doch noch studieren konnte und nun einen Ruf nach Boston erhalten hat. Die Klassenverhältnisse sind wiederhergestellt. Ein kluges Ende, leider kaum mit Musik versehen und größtenteils als Dialog gesprochen.

Das Bühnenbild von Volker Thiele ist großartig, gerade mit den stollenartig engen Zellen, die die Mühen des Bergbaus zeigen – zu selten sieht man Produktion auf der Opernbühne! Regisseur Frank Hilbrich gelingen immer wieder kluge Konstellationen. Die Hauptidee freilich, nämlich die Figuren sich in Zeitlupe bewegen zu lassen, bietet zunächst einen Kontrast zur eingangs hektischen Musik und nutzt sich dann rasch ab. Die Robert-Schumann-Philharmonie unter Benjamin Reiners hält die Spannung über gut zwei Stunden rhythmisch teils vertrackter Musik und trägt so zum Gelingen einer Uraufführung bei, die hoffentlich nachgespielt wird.

Nächste Vorstellungen: 11., 19. und 30. Oktober

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Protestkundgebung gegen die Kürzungen (Berlin, 13.11.2024)
    19.12.2024

    Den Schuss hören

    Der Berliner Senat aus CDU und SPD streicht zahlreiche Kulturförderungen. Künstler und Schauspieler wehren sich. Ein Blick auf Theater und Gesellschaft angesichts aktueller Proteste
  • »Mit jedem Keulenschlag / Erschlag ich eine Möglichkeit in mir« ...
    10.12.2024

    Solange man Ungeheuer bekämpft

    In Peter Hacks’ »Omphale« stehen Frieden und Emanzipation im Zentrum. Gemessen an den Bedingungen sozialistischer Wirklichkeit aber
  • Nach der Sanierung: Bühne im Konzertsaal der Staatsoper Unter de...
    03.12.2021

    Geschichte der Großen

    Wirkliche Opern, angebliche Dogmen: Eckart Kröplins Band über das Musiktheater in der DDR

Mehr aus: Feuilleton