Um die Wurst
Von Peter Merg
Ein Palästina-Trikot mit einer stilisierten Nummer elf auf der Brust, die aus zwei Abbildungen des gesamten Gebietes Palästina und Israel besteht – ohne Grenzverläufe. Kein offizielles Trikot der palästinensischen Fußballnationalmannschaft, sondern Streetwear als Statement, die man in Berlin sogar am Spätkauf erstehen kann. Ein Statement, das den deutschtürkischen Rapper Chefket um seinen für den 7. Oktober geplanten Auftritt im Rahmen von Jan Böhmermanns Berliner Ausstellung »Die Möglichkeit der Unvernunft« im Haus der Kulturen der Welt (HKW) gebracht hat – und diesen nun um sein ganzes Musikprogramm.
Wie am Donnerstag bekannt wurde, sagten die Bands Blumengarten, Drunken Masters, Wa22ermann, Tape Head und Noni sowie die Sängerinnen Mine und Domiziana ihre Konzerte aus Solidarität mit Chefket ab. Zuvor hatten sich Böhmermann und das Ausstellungshaus, die mit dem »HKW-Takeover« »der Gesellschaft die Wurst vorhalten« wollen, dem Druck von Wolfram Weimer gebeugt und den Rapper ausgeladen. Der Kulturstaatsminister hatte in einem Protestbrief moniert, Chefket habe ein Foto von sich in einem solchen Trikot verbreitet, was antisemitisch sei. Die Ausstellung ist staatlich gefördert, Weimer selbst soll dort am Mittwoch mit Böhmermann über das Thema »Technik killt Kultur?« diskutieren.
Offenkundig killt noch immer vor allem Politik Kultur. Gegen die klare Einflussnahme verwahrten sich nun die restlichen eingeladenen Musiker. »Wir finden es nicht richtig, wie Künstler:innen (in dem Fall Chefket) und Veranstalter:innen von Politik (in dem Fall das CDU-geführte Kulturministerium unter Wolfram Weimer) und manche Medien gezielt unter Druck gesetzt werden, weil Künstler:innen auf die untragbare Situation in Palästina aufmerksam machen und ihre Solidarität mit der leidenden Zivilbevölkerung ausdrücken«, schrieb etwa Blumengarten in einer Instagram-Story am 29. September. Domiziana schrieb am 2. Oktober, ebenfalls auf Instagram: »(…) Für mich ist das ein Zustand, den ich nicht mittragen kann – deshalb verweigere ich auch meine eigene Performance. Mein politischer Standpunkt zur katastrophalen Lage in Palästina ist klar und öffentlich bekannt – ich stehe solidarisch mit Gaza, verurteile den Genozid und positioniere mich gegen jede Form von Rassismus, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus, Diskriminierung sowie jegliche Art von Intoleranz.«
Zu glauben, er könne sich bei einer staatlich geförderten Veranstaltung um das derzeit auch kulturpolitisch dominante Thema Gaza herumdrücken, belegt eindrücklich Böhmermanns inniges Verhältnis zur Unvernunft. »Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren gilt es zu weiten, anstatt sie zu verengen«, hatte Böhmermann noch zur Ausstellungseröffnung Weimer zitiert. Stattdessen hat er sich nun selbst die Wurst vorgehalten.
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