Teil der Familie
Von Helmut Höge
Der Paläoanthropologe Louis Leakey, der zusammen mit seiner Frau in der kenianischen Olduvai-Schlucht nach Knochen des vermeintlichen Frühmenschen bzw. Urprimaten grub, aus dem sich einst Menschenaffen und Menschen »entwickelten«, hielt es für nötig, dass daneben auch die Lebensweise der heutigen Menschenaffen erforscht wird, so lange es sie noch freilebend gibt.
Da er die westliche Biologie für patriarchalisch verblendet hielt und sowieso Frauen mehr Fähigkeiten zum Erfassen des Sozialen zugestand als Männern, schickte er in den 60ern drei junge, engagierte Frauen in den Dschungel zu den Affen. Nach zehn Jahren wollte er die ersten Berichte von ihnen haben. Die Ergotherapeutin Dian Fossey ging nach Ruanda zu den Gorillas. Die hippieske, von Orang-Utans begeisterte Studentin Birutė Galdikas forschte auf der Insel Borneo im Reservat von Tanjung Puting. Und die damals 26jährige Sekretärin Jane Goodall ging ins britische Treuhandgebiet Tanganjika (heute Tansania) zu den dort im Gebiet des heutigen Gombe-Stream-Nationalparks lebenden Schimpansen. Weil die Regierungsbeamten kein »junges englisches Mädchen ohne europäische Begleitung« allein in den Busch lassen wollten, wurde sie zunächst von ihrer Mutter begleitet, die im Camp ein kleines Hospital für die Leute aus den umliegenden Dörfern einrichtete, was Jane Goodall half, ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zu ihnen aufzubauen.
Auf Initiative des National Geographic Magazine, dessen Herausgeber diese Langzeitprojekte finanziell unterstützte, verfilmte man, z. T. mehrmals, auch die Lebensgeschichten der drei Frauen, denen es gelang, von »ihren« Affenhorden mehr oder weniger als beobachtende Begleiter akzeptiert zu werden. Birutė Galdikas lebt noch immer auf ihrer Station auf Borneo. Der Dokumentarfilm »Born to be Wild« (2011) über ihre Arbeit wurde auch einer Gruppe von Orang-Utans vorgeführt, die »mitgespielt« hatten. Dian Fossey setzte sich schon früh derart rabiat für den Schutz »ihrer« Gorillas – vor allem vor Wilderern – ein, dass man sie 1985 in ihrem »Camp Karisoke« ermordete. Jane Goodall besuchte irgendwann nur noch sporadisch ihre Station am Gombe-Fluss. Sie hatte eine internationale Tierschutzorganisation gegründet und war ständig unterwegs zu Konferenzen und anderen Events.
Die drei Frauen begründeten recht eigentlich eine feministische Feldforschung, die vielen Akademikerinnen den Weg ebnete – sofern sie sich von den Vorgaben ihrer männlichen Professoren freimachen konnten und können. Alle drei schrieben Bücher über ihre Arbeit. Jane Goodall veröffentlichte etwa 2010 ihren Bericht »50 Years at Gombe«, er ist wissenschaftlicher als die ihrer beiden Kolleginnen. Goodalls wichtigste Leistung ist wohl, den Gebrauch von Werkzeugen durch Affen nachgewiesen zu haben – ebenso wie andere »menschenähnliche« Handlungen und Reaktionen.
Über und mit Schimpansen wird viel geforscht. Jane Goodalls langjährige Arbeit brachte neue Erkenntnisse über diese uns nächst stehenden Primaten, die häufig in Laboren gequält werden. 2012 erteilte das Europäische Patentamt der US-Firma Altor ein Patent auf einen genveränderten Schimpansen – für Medikamententests. »Es ist für mich eine schockierende Vorstellung, dass eine Firma in einem Menschenaffen nur noch ein technisches Instrument sieht«, sagte Jane Goodall, die Einspruch gegen die Patenterteilung erhob. Dem wurde stattgegeben, das Patent 2015 widerrufen.
Am 1. Oktober ist Jane Goodall im Alter von 91 Jahren in Los Angeles gestorben.
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