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Aus: Ausgabe vom 04.10.2025, Seite 7 / Ausland
Haiti

Mandat für US-Imperialismus

Haiti: UN-Sicherheitsrat beschließt neuen Militäreinsatz, als Vorwand dienen »Banden«. Scharfe Kritik sozialer Bewegungen
Von Volker Hermsdorf
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Alltägliches Bild: Schwerbewaffneter Polizist an einer Kreuzung in der Hauptstadt Port-au-Prince am Dienstag

Der UN-Sicherheitsrat hat am Dienstag einen neuen Militäreinsatz für Haiti genehmigt. Auf Antrag der USA und Panamas soll die bisher von Kenia geführte »Multinationale Sicherheitsmission« (MSS) in eine sogenannte »Bandenbekämpfungstruppe« (Gang Suppression Force, GSF) überführt werden. Das Mandat gilt zunächst für zwölf Monate, vorgesehen sind 5.500 Soldaten und Polizisten sowie 50 zivile Fachkräfte. Während zwölf der 15 Ratsmitglieder zustimmten, enthielten sich China, Russland und Pakistan. Auch Organisationen in Haiti kritisierten die Entscheidung.

Alle drei Staaten äußerten Bedenken gegenüber dem Mandat. Die Resolution sei »ohne gründliche Prüfung verabschiedet worden«, erklärte der chinesische UN-Botschafter Fu Cong. Washington habe im Antrag »keine substantiellen Informationen geliefert, sondern den Rat gedrängt, sofort zu beschließen«. Der Text lasse »Fragen zu Regeln des Einsatzes, zur Vermeidung ziviler Opfer und zu Kontrollmechanismen offen«. Zudem warnte Fu, der Einsatz militärischer Mittel gegen Gewalt sei »nicht nur wenig aussichtsreich, sondern könnte die ohnehin katastrophale Lage in Haiti weiter verkomplizieren«. Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja kritisierte, dass die neue Truppe unabhängig von jeder nationalen oder internationalen Kontrolle operieren könne. Es handle sich um eine Mission mit »quasi unbegrenztem Mandat«, deren Finanzierung ungeklärt sei. Washington habe »bereits bei der MSS seine finanziellen Verpflichtungen nicht erfüllt« und verlange nun, dass die gesamte UNO-Gemeinschaft für die Kosten der neuen Mission aufkomme, so Nebensja. »Wir bleiben bei unserer Auffassung, dass der Rat erneut in ein gefährliches und schlecht geplantes Abenteuer gedrängt wird«, begründete er die Enthaltung.

Auch in Haiti selbst begegnet eine Koalition sozialer Bewegungen der neuen Mission mit tiefer Skepsis. Sie verweist auf das Versagen früherer UN-Einsätze, das von sexueller Ausbeutung durch Blauhelmsoldaten bis zur Einschleppung der Cholera reichte. Für William Jeanty, Koordinator der Landarbeiterorganisation Kontrapèpla, geht es beim neuen Einsatz nicht primär um Sicherheit. »Das ist kein Problem der Gewalt, das ist ein geopolitisches Problem«, sagte er. »Die USA wollen absolute Kontrolle über den amerikanischen Kontinent – und fangen bei Haiti an, weil es der schwächste Staat ist.« Auch Pierre-Marie Louis von der Bauernbewegung Tèt Kole kritisiert die Pläne scharf: »Sie wollen ihre Hände auf unser Land legen – wegen unserer strategischen Lage in der Karibik und wegen unserer Bodenschätze. Am Ende wird das haitianische Volk die Hauptlast dieser Politik tragen.«

In New York protestierte die US-Organisation Black Alliance for Peace vor dem UN-Gebäude. »Diese Truppe würde von der sogenannten internationalen Gemeinschaft einen Blankoscheck erhalten, um alles auszuführen, was der US-Imperialismus in Haiti befiehlt«, zitierte die linke Wochenzeitung Haïti Liberté einen Vertreter der Menschenrechtsorganisation. Zugleich äußerte die Zeitung sich enttäuscht darüber, dass Russland und China, trotz erheblicher Vorbehalte, kein Veto eingelegt hätten. Damit hätten sie Washington de facto freie Hand gelassen.

Die USA und der durch keinerlei Wahlen legitimierte haitianische Übergangspräsidialrat (CPT) rechtfertigten die Resolution dagegen. US-Botschafter Michael Waltz sprach euphorisch von einem »entscheidenden ersten Schritt«. Der vom CPT als Übergangspräsident eingesetzte Geschäftsmann Laurent Saint-Cyr erklärte, die Abstimmung markiere »einen Wendepunkt im Kampf gegen die bewaffneten kriminellen Gruppen«. Für viele sind derartige Äußerungen blanker Zynismus, da sich die humanitäre Lage in den vergangenen Wochen dramatisch zugespitzt hat. Nach UN-Angaben benötigen mittlerweile sechs Millionen Menschen – fast die Hälfte der Bevölkerung – dringend Hilfe. 1,3 Millionen sind auf der Flucht. Und während die Bevölkerung kaum Zugang zu Wasser, Nahrung, Strom oder medizinischer Versorgung hat, gelangen Waffen und Drogen aus den USA und der Dominikanischen Republik weiterhin ungehindert ins Land.

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