Aufstand gegen »Sklavenarbeit«
Von Hansgeorg Hermann, Chania
Ein auf zunächst 24 Stunden befristeter Generalstreik sollte das öffentliche Leben und die Arbeitswelt in Griechenland am Mittwoch weitgehend lahmlegen. Hunderttausende reagierten seit Tagen landesweit mit gewaltigem Zorn auf einen neuen Gesetzentwurf der Rechtsregierung, der einen Arbeitstag von künftig bis zu 13 Stunden legalisieren soll. Der griechische Gewerkschaftsbund GSEE sprach von Sklavenarbeit und einer »Rückkehr in mittelalterliche Bedingungen«.
■ Die Regierung des rechtsnationalen Premierministers Kyriakos Mitsotakis versicherte dagegen, die angestrebte »Flexilibisierung des Arbeitsmarkts« lasse den Beschäftigten die Wahl, auch der bisherigen Regelung – 40 Stunden pro Woche – zu folgen. Bereits jetzt müssen viele Menschen in Griechenland sich mit zwei Jobs am Tag quälen, weil sie mit ihren Familien von einem Durchschnittsgehalt von weniger als 900 Euro nicht leben können. Der Mindestlohn ist in Griechenland auf aktuell 830 Euro festgeschrieben, der Mindeststundenlohn beträgt knapp fünf Euro.
Die zynische Beschreibung der neuen Arbeitszeiten lieferte in dieser Woche Mitsotakis’ Arbeitsministerin Niki Kerameos: Wegen der 13-Stunden-Regelung könnten sich die Griechen ja künftig einen der beiden Jobs sparen und ihren Lebensunterhalt bei einem einzigen Boss erschuften. Bereits im Juli 2024 hatten Mitsotakis und seine Freunde in den Chefetagen der Wirtschaft mit einem neuen Gesetz dafür gesorgt, dass Lohnabhängige sechs Tage in der Woche zur Verfügung stehen müssen, sollten die Chefs es für erforderlich halten. Den Beschäftigten stehe in diesem Fall ein durchaus hilfreicher Zuschlag von 40 Prozent zu, lobte Kerameos.
In einer in Tageszeitungen veröffentlichten Erklärung hatten der GSEE und zahlreiche Einzelgewerkschaften die gesamte Bevölkerung aufgefordert, gegen das neue Gesetz aufzustehen: »Arbeitszeit ist keine Ware, sondern unser Leben«. Im Rahmen des Generalstreiks legten am Mittwoch die Beschäftigten »in Massen« die Arbeit nieder, wie die GSEE meldete; betroffen waren Flughäfen, Fährhäfen, alle öffentlichen Transporte, Krankenhäuser, Schulen und Verwaltungen sowie Banken und Einzelhandel. Die Gewerkschaften und der Straßenprotest verlangten erhebliche Lohnerhöhungen und eine auf 37,5 Stunden begrenzte Arbeitswoche.
Das steht freilich im Widerspruch zu den Plänen der Regierung und der sie drastisch unter Druck setzenden griechischen Kapital- und Oligarchenmacht. Nach der EU-Statistikbehörde Eurostat arbeiten die Griechen nach Zahl der jährlichen Arbeitsstunden bereits mehr als in allen anderen Eu-Staaten. Ihre Kaufkraft liegt, bedingt durch die Hungerlöhne, dennoch 30 Prozent unter dem Durchschnitt. Griechische »Arbeitsmarktexperten« warnten in TV- und Zeitungsinterviews, eine »verringerte Zufriedenheit am Arbeitsplatz« könne zu einem »Rückgang der Produktivität« führen.
Die vielen zehntausend Lohnabhängigen, die am Mittwoch in Athen und anderen Großstädten auf die Straße gingen, sehen das allerdings anders. Statt die Einkommen zu erhöhen und den Menschen endlich ein würdiges Arbeits- und Familienleben zu ermöglichen, zwinge die Regierung die Beschäftigten in Industrie, Einzelhandel und Landwirtschaft zurück in eine Lohnknechtschaft, in der allein Unternehmer über die Arbeitsbedingungen zu entscheiden hätten. Der 13-Stunden-Tag werde zwar als »freiwillige« Leistung deklariert, Lohnabhängige hätten allerdings kaum die Möglichkeit, sich dem zu verweigern. Bereits jetzt sei es im Alltag Praxis, Arbeiter und Arbeiterinnen zu sechs Arbeitstagen zu verpflichten – ohne ihnen den gesetzlich vorgeschriebenen Zuschlag zu zahlen.
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