Sonst hilft dir der Videorudi
Von Maximilian Schäffer
Ein jeder darf mitmachen. Beim Videorudi, jeden Dienstag in Wien. Pornos drehen, dick, dünn, alt, jung. Ganz im Eck der »Venus« saß sympathisch der Videorudi, in seinem kleinen Stand mit ein paar Postern und ihm alleine als Attraktion. Ein Pornosakko trug er um die Wampe, Pornoparfum schwitzend, eine dicke Pornogoldkette mit Versace-Logo in den haarigen Ausschnitt des Pornohemds gepackt. Der Videorudi hat sein eigenes Pornoportal, online – DVDs und Kassetten sind Relikte der Vergangenheit. So aber auch er, denn mitmachen darf und sollen heutzutage eh alle.
Content kreieren kann jeder Depp, braucht dazu nicht mehr den Videorudi und dessen Studio, Kameras, Lichtkegel usw. Braucht dazu auch nicht mehr die Messe »Venus« in Berlin (25.–28. September) als Präsentationsgelegenheit. Das heimische Schlafzimmer dient als Wichsbühne für jeden einzelnen menschlichen Körper dieser Erde auf Onlyfans und Chaturbate. Ein Smartphone reicht, richtet per KI automatisch Licht- und Farbverhältnisse so ein, dass sie dem durchschnittlichen Wichser nicht mehr allzu sehr von großen Produktionen unterscheidbar sind. Dann verlangt man 9,99 Euro monatlich von seinen Bewunderern und liefert denen die eigenen Füße, Pisse, Küsse auf Videos. Videos, die dann geklaut werden und auf den Tausenden kostenlosen, illegalen Pornoportalen landen. Weil sich dafür niemand ein Schnitzel kaufen kann, nicht in Wien beim Videorudi und nicht anderswo, boten sich auf der »Venus« Agenturen an, die praktisch und rechtlich gegen Plagiat und Diebstahl vorgehen. Auch das kostet wiederum Geld, so dass die Selbstverhurung professionalisiert werden muss, um auszuzahlen. Oder eben Hobby bleibt, das für niemand anderen Mehrwert produziert – außer ein Haufen Wichser. »Aber meine Videos gibt’s nur bei mir!« grinste der Videorudi.
Einsamkeit war deswegen das inoffizielle Hauptthema der Erotikfachmesse im 28. Jahr ihres Bestehens. Videos reichen nicht mehr, es braucht hochwertige Fickmaschinen mit Abspritzfunktion. Steuerbar per App sind: Stoßweite, Stoßfrequenz, Ausdauer, Absamverhalten. Es gibt Hunderte Aufsätze. Auch die Plastiken von Starschwänzen und elefantenpimmeldicke Riesendildos können montiert werden. Jedem sein eigener Traum individuell hinten oder vorne rein. Wem das nicht reicht, der muss endgültig pervers werden. Und sich eine lebensechte Silikonpuppe kaufen und der die Titten pudern, damit sie sich nach echter Haut anfühlen. Der Anbieter kleidete eine der Puppen mit Kampfhelm in Tarnfarben und Maschinengewehr im Plastikarm. Für Traumatisierte, Perverse, Einsame. In zwei Monaten kommt das KI-Abomodell raus. Die Puppe lernt dann die Bedürfnisse ihres Herrchens. Kann sich mit Google Home verbinden, das Licht anmachen, wenn der »Partner« heimkommt. Selfies mit Webcams machen, wenn zu einsam, und natürlich chatten: »Wie geht es dir? Ich hab dich lieb.« Bestimmt kann sie bald auch schießen. Der Videorudi hingegen bot gesellige Sexreisen für Einsame an.
Obwohl die »Venus« sich immer noch weitestgehend am männlich-heterosexuellen Blick ausrichtete, gab es dieses Jahr einen »Queer Space«. Gleich neben der Performancebühne, wo sich Frauen in Polizeiuniform zu Marilyn Manson und Rammstein mit Dildos fickten, hatte man den Boden von ein paar Quadratmetern Ausstellungsfläche rosarot markiert. Neben Heimtests auf Geschlechtskrankheiten, gab es spezifisch queer auch noch Pillen für ungestörten Analverkehr mit Flohsamenschalen, Leinsamen, Chiasamen. Drei vermutlich schwule Influencer beschäftigten sich oberkörperfrei mit ihrer Webcam. So ist das mit der Diversity: Ist sie einmal nicht mit sich selbst beschäftigt, hat sie sich selbst erledigt. Man könnte jetzt verzweifelt mitten auf der Fachmesse für Lust und Erotik auf den Boden scheißen und behaupten, die DDR sei schuld. Oder die Russen. Oder das Patriarchat. Oder fünf Millionen Syrer. Wie sonst Aufmerksamkeit in der ganzen Einsamkeit bekommen, wenn auf einmal jeder queer und obszön ist? Die Schwulen, in ihrer Verzweiflung, hatten das mal ideal gelöst, ließen Frauen einfach nicht in ihre Faustfickbars und lachten sich ins Fäustchen. Da drüben, vor der Bühne, aber stehen mindestens fünfzig »heterosexuelle« Männer und schauen vorurteilsfrei einer schwersttätowierten Person mit Busen und Penis dabei zu, wie sie (wieder zu Marilyn Manson) masturbiert. Tosender Applaus. Den Videorudi interessierte das alles nie, er hockt seit 28 Jahren im Eck der »Venus« und scheint zufrieden.
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