Politische Krise in Ecuador: Brief an den ecuadorianischen Botschafter

Angesichts der politisch kritischen Lage in Ecuador haben die Bundestagsabgeordneten Vinzenz Glaser, Cansu Özdemir, Max Lucks, Lea Reisner, Charlotte Neuhäuser und Maren Kaminski dem ecuadorianischen Botschafter in der Bundesrepublik einen interfraktionellen Brief geschrieben:
(…) Die ecuadorianische Verfassung von 2008, die für ihre Fortschrittlichkeit in bezug auf Rechte der Natur und soziale Rechte weltweit Anerkennung fand, steht nun unter Beschuss. (…) Besonders besorgniserregend ist der Umgang mit dem Verfassungsgericht im Zusammenhang mit der geplanten Volksbefragung zur Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Während das Gericht über Klagen zur Verfassungswidrigkeit des Dekrets 148 beriet, wurde es aufgrund einer mutmaßlichen Bombendrohung evakuiert. Bereits zuvor war das Gericht massiven politischen Einschüchterungen ausgesetzt: Der reguläre Betrieb wurde gestört, einzelne Richter wurden öffentlich diffamiert. Am 12. August führte Präsident Noboa eine Demonstration gegen das Gericht an und bezeichnete dessen Mitglieder öffentlich als »Feinde des Volkes«.
Eine unabhängige Justiz ist das Rückgrat jeder Demokratie. Nur wenn Richter frei von politischem Druck agieren können, sind eine wirksame Kontrolle der Exekutive und die Durchsetzung der Verfassung gewährleistet. Das Verfassungsgericht nimmt dabei eine herausragende Rolle ein – seine Unabhängigkeit ist unverzichtbar für den Schutz demokratischer Prinzipien.
Das »Ley de Inteligencia Pública«, ein Geheimdienstgesetz, hat große Sorge bei Menschenrechtssverteidigern ausgelöst. Die vagen Definitionen, vor allem was eine »Bedrohung für den Staat« darstellt, ermöglichen es, es so auszulegen, dass politische Gegner und soziale Proteste kriminalisiert werden können. Insbesondere das Abhören von Kommunikation ohne gerichtliche Anordnung ist aus rechtstaatlicher Sicht zu kritisieren. Das »Ley de Transparencia Social« wurde von der UN-Sonderbeauftragten für Versammlungs- und Organisationsfreiheit, Gina Romero, kritisiert. Das Hauptproblem sei, dass es alle zivilgesellschaftlichen Organisationen stigmatisiere, indem sie ohne Belege direkt mit Geldwäsche und Veruntreuung von Geldern in Verbindung gebracht werden und Auflagen erhalten, die viele von ihnen nicht erfüllen können. Es verstoße gegen internationale Standards, alle nationalen und internationalen Organisationen zu zwingen, sich neu zu registrieren, sowie ihre Finanzflüsse offenzulegen. Seit dem 20. September wurden die Konten zahlreicher indigener Organisationen und Gemeinden, die an Protesten beteiligt waren, ohne Vorwarnung gesperrt. Diese Maßnahmen erhöhen das Risiko von Überwachung, Einschüchterung und demokratischer Aushöhlung. Die Kriminalisierung sozialer Protestbewegungen gegen steigende Lebenshaltungskosten stellt zudem einen schweren Eingriff in das Recht auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit dar. Diese Entwicklungen gefährden die Wahrung grundlegender Menschenrechte, stellen das internationale Ansehen Ecuadors in Frage und erschweren die Zusammenarbeit mit multilateralen Partnern und Institutionen.
Wir fordern die ecuadorianische Regierung auf, die Verfassung und rechtsstaatliche Prinzipien zu achten, die Unabhängigkeit der Justiz zu garantieren und die Sicherheit von Richtern und Justizbediensteten zu gewährleisten. Ebenso fordern wir die Achtung der Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie den Schutz von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und Demonstrierenden vor Repression und Gewalt. (…)
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Karen Toro/REUTERS25.05.2024
Streit um Richterspruch
- Daniel Tapia/REUTERS15.04.2024
Illegal geräumt
- SEBASTIAN CASTANEDA/REUTERS08.12.2023
Fujimori auf freiem Fuß