Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz
Gegründet 1947 Montag, 29. September 2025, Nr. 226
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz
Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz
Aus: Ausgabe vom 29.09.2025, Seite 4 / Inland
Palästina-Solidarität

Für ein Ende des Genozids

Zehntausende bei Demonstrationen in Berlin und Düsseldorf. Linke-Chefin Schwerdtner: »Wir haben zu lange geschwiegen.« Polizei beendet kleinere Demo in Kreuzberg
Von Carmela Negrete, Niki Uhlmann, Dieter Reinisch und Nico Popp
4.JPG
Am Ende versammelten sich die Teilnehmenden vor der Bühne zur Abschlusskundgebung am Großen Stern (Berlin, 27.9.2025)

Zehntausende Menschen haben am Sonnabend in Berlin und Düsseldorf gegen den israelischen Krieg gegen Gaza demonstriert. Die größte Demonstration, »Zusammen für Gaza«, begann am Nachmittag in Berlin-Mitte in Sichtweite des Roten Rathauses. Zu ihr hatte ein Bündnis von rund 50 Organisationen aufgerufen, darunter Medico International, Amnesty International und die Palästinensische Gemeinde Deutschland. Auch die Partei Die Linke hatte sich nach fast zweijähriger Zurückhaltung gegenüber der palästinasolidarischen Bewegung im Vorfeld dafür entschieden, die Demonstration zu unterstützen. Moritz Krawinkel von Medico sagte gegenüber jW, man sei hier, »um auf den Genozid aufmerksam zu machen und hoffentlich dafür zu sorgen, dass die deutsche Unterstützung dafür endet und dass dieser Genozid endet«.

Internationale Solidarität

Im Aufruf zu der Demonstration wurden Bundesregierung und Bundestag unter anderem zur Beendigung der Waffenlieferungen an Israel, zum Einsatz »für ein Ende der seit Jahrzehnten andauernden Vertreibung und der illegalen Besatzung des palästinensischen Gebiets« und zur Beendigung der »Unterdrückung legitimer Proteste und freier Meinungsäußerung der palästinasolidarischen Bewegung« aufgefordert.

An der Auftaktkundgebung nahmen zunächst etwa 20.000 Menschen teil, später kamen immer mehr Menschen dazu. Beobachter schätzten die Zahl der Teilnehmer in der Spitze vor Erreichen der Abschlusskundgebung »All Eyes on Gaza – Stoppt den Genozid!« auf bis zu 50.000. Die Veranstalter sprachen bei der Abschlusskundgebung, zu der noch weitere Demonstranten hinzukamen, schließlich von über 100.000 Teilnehmern. Die Polizei sprach am Abend von etwa 60.000 Demonstranten und einem bis dahin weitgehend »störungsfreien Verlauf«.

2509-AllEyesOnGaza-30-0843.jpg
Zum Bühnenprogramm der Kundgebung »All Eyes on Gaza« gehören die Auftritte diverser Rapgruppen und -künstler (Berlin, 27.9.2025)

Immer wieder waren die Sprechchöre »Free, free Palestine«, »Viva, viva Palästina« und »Hoch die internationale Solidarität« zu hören. Getragen wurde die Demonstration insbesondere von den seit 2023 in der Solidaritätsbewegung engagierten migrantischen Zusammenschlüssen, von linken Gruppen, Zusammenschlüssen aus der Friedensbewegung und jüngeren Mitgliedern der Linkspartei, deren Block etwa 3.000 bis 4.000 Demonstranten umfasste. Am Rande des Lustgartens hatten sich hinter einer Polizeiabsperrung etwa 50 Gegendemonstranten versammelt. Zu sehen waren hier israelische Flaggen und ein Banner der »Omas gegen rechts«.

Die Kovorsitzende der Linkspartei, Ines Schwerdtner, rief bei der Auftaktkundgebung am Neptunbrunnen aus, sie und ihre Vorrednerin, die EU-Abgeordnete Özlem Demirel, stünden hier für die gesamte Partei. »Wir haben zu lange geschwiegen, ich habe zu lange geschwiegen«, sagte Schwerdtner. Das, was in Gaza stattfinde, sei ein Genozid. Man werde sich jeder Repression entgegenstellen und die Protestbewegung »schützen«. In Richtung der deutschen Regierung sagte Schwerdtner: »Kanzler und Minister reden, aber sie handeln nicht. Sie sprechen von ›Staatsräson‹, während Krankenhäuser in Schutt und Asche gelegt werden. Sie schweigen zum Völkermord – und machen sich mitschuldig.« Der Linke-Bundestagsabgeordnete Cem Ince, der zusammen mit den Fraktionskolleginnen Zada Salihović und Charlotte Neuhäuser als parlamentarischer Beobachter unterwegs war, sagte gegenüber jW, es seien viele Leute, die heute auf die Straße gegangen sind, »damit der Genozid in Gaza beendet wird«. Man wolle die »Friedensbewegung insgesamt stärken«, und heute sei »ein guter Anfang«.

»Offene Provokationen«

Schwerdtners Äußerungen dürften vielen Funktionären und Mandatsträgern der Partei nicht gefallen. In der Linkspartei gibt es auch zwei Jahre nach dem Beginn des Gazakrieges erhebliche Vorbehalte gegenüber einer Beteiligung an einer palästinasolidarischen Mobilisierung. Der Tagesspiegel zitierte am Freitag einen namentlich nicht genannten Bundestagsabgeordneten, der dem Blatt gegenüber die Frage aufwarf, ob es irgend etwas gebe, was bei der Demo »nicht schiefgehen« werde. Die Botschaft: Mit Personen, die Tagesspiegel und Co. »Israel-Feinde« nennen, will man weiter nicht in Verbindung gebracht werden. Dass der aus dem Berliner Landesverband ausgeschlossene Aktivist Ramsis Kilani unter den Erstunterzeichnern des Demoaufrufs ist, sei eine »offene Provokation«, beschwerte sich ein ebenfalls ungenannter weiterer Bundestagsabgeordneter. »Wichtige Parteimitglieder« sollen gegenüber dem Blatt geäußert haben, dass die Organisation der Partei »vollkommen entglitten« sei. Bei der Demo äußerte am Sonnabend gegenüber jW ein junger Mann in Die-Linke-Weste, der seinen Namen nicht nennen wollte, Verständnis für das Zögern der Parteiführung: Man habe sich schwergetan, weil man sich nicht nachsagen lassen wolle, mit »Spinnern und Terroristen« zu demonstrieren.

IMG-20250927-WA0011.jpg
Mit ihren Transparenten fordern Teilnehmer nicht nur »Freiheit für Palästina«, sondern sie ahnen auch, dass eines Tages jeder gegen den Genozid gewesen sein will (Berlin, 27.9.2025)

Schwerdtner zeigte sich in einer am Abend verschickten Mitteilung zufrieden: »Das Wochenende ist ein großer Erfolg, es ist das Versprechen an die Menschen in Gaza, dass wir nicht wegschauen. Der Protest war nicht nur ein Symbol, sondern ein wichtiger Schritt: für die Menschen in Gaza – und für unser eigenes Rückgrat als Zivilgesellschaft.«

Kämpferische Stimmung

Die Demonstration wurde von der Polizei bis nach 16 Uhr daran gehindert, über die Straße Unter den Linden in Richtung Tiergarten – wo bereits um 17 Uhr die Abschlusskundgebung stattfinden sollte – aufzubrechen. Die Begründung dafür soll gewesen sein, dass die Auflagen nicht auch in arabischer Sprache verlesen worden waren. Durch Umleitungen kam die Demonstration schließlich so am Ort der Abschlusskundgebung an, dass die Teilnehmer von hinten auf die große Bühne trafen und sich links und rechts auf engem Raum an ihr vorbeidrängen mussten. Trotzdem war die Stimmung gut und kämpferisch, die kurzen Reden und die Musikbeiträge wurden mit viel Beifall bedacht. Die Kundgebung dauerte noch bis in den Abend hinein an.

Eine weitere Demo (»United for Liberation – Fight Normalization«) war für 14 Uhr auf dem Moritzplatz in Kreuzberg angemeldet und sollte über das Kottbusser Tor zum Südstern laufen. Im Aufruf hierzu hieß es, man weise alle Versuche einer »Normalisierung« zurück; Frieden mit einem Apartheidregime, »das auf ethnischer Säuberung aufgebaut ist«, könne es nicht geben. Das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung schließe ein »Recht auf Widerstand gegen die Besatzung, Siedlerkolonialismus, Apartheid und den andauernden Völkermord« ein. In Richtung der Organisatoren der Demonstration in Mitte hieß es: »NGOs, Hand in Hand mit ihren Geldgebern, standen historisch an vorderster Front bei der Entradikalisierung und Zerschlagung von Bewegungen, die nicht im Dienst ihrer Regierungen stehen.«

Pro_palaestinensisch_87374671.jpg
Tausende Menschen nahmen in Düsseldorf an der Demonstration gegen den Völkermord an den Palästinensern teil (27.9.2025)

Um 14 Uhr hatten sich zunächst nur einige hundert Demonstranten am Moritzplatz versammelt, in dessen Umfeld zahlreiche Polizeifahrzeuge aufgefahren waren. Die Demonstration zog schließlich mit etwas Verspätung mit 2.000 bis 3.000 Teilnehmern und mit – anders als bei der deutlich größeren Demonstration in Mitte – sehr dichter Polizeibegleitung los. Die Polizei sprach von 1.000 Demonstranten. Am Rande kam es durchweg zu einzelnen Polizeiübergriffen und Festnahmen. Nach der Explosion eines Feuerwerkskörpers wurde die Demonstration auf dem Kottbusser Damm von der Polizei vorzeitig für beendet erklärt. Anschließend kam es zu einer größeren Zahl an Festnahmen. Die Berliner Polizei war nach eigenen Angaben mit 1.800 Beamten, darunter Verstärkung aus Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und von der Bundespolizei, im Stadtgebiet im Einsatz.

Liveschalten

In Düsseldorf demonstrierten am Sonnabend nach Angaben der Organisatoren circa 30.000 Menschen unter dem Motto »Wir vergessen Gaza nicht – Freiheit für Palästina und alle unterdrückten Völker« vom Hauptbahnhof durch die Innenstadt. Die Polizei war mit erheblichen Kräften im Einsatz; Zwischenfälle wurden zunächst nicht bekannt. Unter den Rednern waren Vertreter der Palästinensischen Gemeinde Düsseldorf und der »Global Sumud Flotilla«, die sich auf dem Weg Richtung Gazastreifen befindet. Angeführt wurde die Demonstration von rund 50 Motorradfahrern der Gruppe »Bikers 4 Palestine«. Die Polizei hatte von den Organisatoren geplante Liveschalten nach Gaza und zur »Sumud Flotilla« unter Androhung der Auflösung der Demonstration untersagt.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Gideon Saar und Johann Wadephul am Donnerstag in Berlin (5.6.202...
    06.06.2025

    Kolonialmacht willkommen

    Außenminister empfängt israelischen Amtskollegen in Berlin, Protest vor dem Auswärtigen Amt. Linke erwirkt Debatte im Bundestag
  • Eine Demonstration am Potsdamer Platz in Berlin wurde am Sonntag...
    18.10.2023

    Hexenjagd in vollem Gange

    Repression gegen Palästina-Proteste wird forciert: Rufe nach Haftstrafen und Ausbürgerungen. Mittwoch »Aktuelle Stunde« im Bundestag

Mehr aus: Inland