Eine Einladung zum Erschießen

Am 2. Mai 2013 setzte das FBI Assata Shakur, die seit 1984 auf Kuba im Exil lebte, als erste Frau auf die Liste der zehn meistgesuchten Terroristen und bot eine Million US-Dollar für ihre Ergreifung. Insgesamt waren damit zwei Millionen Dollar ausgeschrieben. Am 3. Mai 2013 veröffentlichte die Website Democracy Now! ein Gespräch, das Amy Goodman und Juan González mit der Philosophin Angela Davis und Shakurs langjährigem Strafverteidiger Lennox Hinds geführt hatten. Am 8. Juni 2013 veröffentlichte jW dieses Gespräch in der Übersetzung von Jürgen Heiser. Ein Auszug:
Lennox Hinds: Wie seit Jahrzehnten bekannt ist, fordert die Staatspolizei von der kubanischen Regierung, Assata Shakur an die USA auszuliefern. Es gibt aber kein Auslieferungsabkommen zwischen Kuba und den USA. In Übereinstimmung mit dem Völkerrecht – darin vor allem der Flüchtlingskonvention – hat die kubanische Regierung Assata Shakur politisches Asyl gewährt. (…)
In diesem Kontext müssen wir uns genauer ansehen, was sich 1973 auf der New Jersey Turnpike ereignete. Assata Shakur, die das FBI unter ihrem Sklavennamen Joanne Chesimard führt, stand auf der Fahndungsliste des FBI und wurde in einer Verkehrskontrolle auf der Autobahn gestoppt. Dass sie angeblich eine »kaltblütige Killerin« gewesen sein soll, wird durch keinen forensischen Beweis gestützt. Der Prozess hat gezeigt, dass vielmehr sie das Opfer war. Auf sie wurde geschossen, ihr wurde in den Rücken geschossen. Die Kugel trat vorn an der Schulter wieder aus und zerstörte ihr Schlüsselbein. Sie hätte überhaupt keine Waffe auf jemanden richten können. Und sie wurde getroffen, als sie die Hände erhoben hatte. Da ist nicht das Fünkchen eines Beweises, dass sie eine Waffe in der Hand hielt. Es wurden auch keine Schmauchspuren auf ihren Händen oder ihrer Kleidung gefunden. Die Behauptung, sie habe einem Polizisten die Waffe abgenommen und damit auf ihn geschossen, ihn quasi kaltblütig hingerichtet, ist nicht nur falsch, sondern sie dient der Hetze gegen Assata Shakur. (…)
Amy Goodman: Angela Davis, was sagen Sie zu den Meldungen, dass Assata Shakur als erste Frau auf die FBI-Liste gesetzt wurde?
Angela Davis: Zunächst war es ein sehr großer Schock zu hören, dass Assata Shakur als erste Frau auf die FBI-Liste der »meistgesuchten Terroristen« gesetzt wurde, und dann noch mitzubekommen, dass die Belohnung um eine weitere Million US-Dollar erhöht wurde. In diesem Schritt zeigt sich mir die reine Logik des Terrorismus. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es darum geht, Menschen Angst einzujagen, die sich heute an gesellschaftlichen Kämpfen beteiligen. Vierzig Jahre kommen einem so vor, als wäre das vor sehr langer Zeit gewesen, vier Jahrzehnte eben. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, drehen sich unsere Kämpfe jedoch immer noch um dieselben Themen: Polizeigewalt, Gesundheitsversorgung, Bildung, die Lage der Gefangenen usw. Deshalb ist das für mich weniger ein Angriff auf Assata, auch wenn sie es verdient hätte, wieder nach Hause zurückkehren zu können. Sie hätte es verdient, ihr Leben nach ihren Vorstellungen leben zu können, in Frieden und Gerechtigkeit. Es ist schon erstaunlich, dass sie im Jahr 2013, in dem sie nach wie vor politisches Asyl in Kuba genießt, immer noch von den US-Behörden verfolgt wird. Und die Erhöhung des auf sie ausgesetzten Kopfgeldes ist geradezu eine Einladung an alle, illegal nach Kuba einzureisen, sie zu kidnappen und in die USA zurückzubringen, oder sie zu erschießen. Deshalb war es für mich so unglaublich schockierend, davon zu erfahren. (…)
Amy Goodman: Lennox Hinds, wegen der Haftbedingungen, denen Assata Shakur nach ihrer Verhaftung unterworfen war, sind Sie vor Gericht gezogen. Beschreiben Sie bitte, was mit ihr nach der Verhaftung geschah. Sie war dem Tod damals doch sehr nah, oder?
Lennox Hinds: Ja, sie war dem Tod sehr nah. Sie war an ihr Krankenbett gefesselt. Nachdem es ihr besser ging, wurde sie in ein Männergefängnis verlegt. Sie stand unter 24stündiger Beobachtung durch männliche Wärter, die sie in dieser Zeit bei all ihren persönlichen Verrichtungen beobachteten und überwachten. Wir zogen vor ein Bundesgericht und klagten gegen ihre Haftbedingungen, unter denen sie dort zwei Jahre lang isoliert war. Wir hatten Erfolg mit unserer Klage. Das Justizvollzugsamt des Middlesex County wurde dadurch gezwungen, sie in ein Frauengefängnis zu verlegen.
Amy Goodman: Angela Davis, können Sie uns etwas über Ihre eigenen Erfahrungen erzählen, die Sie ungefähr zu der Zeit durchliefen, als auch Assata Shakur verfolgt wurde?
Angela Davis: Ja, das stimmt. Und ich finde es wirklich sehr interessant, dass das FBI sich damals ganz besonders auf schwarze Frauen konzentrierte, weil sie befürchteten, dass die Bewegung weiterhin wachsen und sich entwickeln würde und dass daran schwarze Frauen und ihre Führerschaft einen wesentlichen Anteil hätten. Ich wurde als Ziel ausgemacht, als ideologisches Ziel, auf die gleiche Weise, wie Assata Shakur die »Glucke« der Black Liberation Army genannt wurde. Die Art, wie sie dargestellt wurde, wurde zu einer Einladung für Rassisten und jeden, der damit einverstanden war, wie sich der Staat mit seiner repressiven Haltung vor allem auf sie einschoss und voller Hass und mit einer Hetzkampagne gegen sie vorging. Es überrascht mich wirklich, dass es heute, zu einer Zeit, in der sich die Enkel der Aktivisten der späten 1960er und frühen 1970er Jahre in ähnlichen Bewegungen engagieren, Bemühungen gibt, erneut diese jungen Leute zu terrorisieren, indem man so eine wichtige Führungsfigur wie Assata Shakur als Terroristin hinstellt. (…)
Und ich möchte noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Dass nämlich zur selben Zeit, als Assata Shakur als erste Frau auf die Liste der zehn »meistgesuchten Terroristen« gesetzt wird, die »Cuban Five« als kubanische Bürger, die versucht haben, terroristische Angriffe auf ihr Heimatland zu verhindern, immer noch in Gefängnissen der USA festgehalten werden.
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