NATO will Militäreinsatz
Von Jörg Kronauer
Die NATO zieht die Umwandlung ihrer Überwachungsoperationen über der Ostsee in einen vollumfänglichen Militäreinsatz in Betracht. Im Konflikt mit Russland um das – tatsächliche oder angebliche – Eindringen russischer Militärflugzeuge in den Luftraum Estlands denke man darüber nach, die seit zwei Jahrzehnten regelmäßig durchgeführten Kontrollflüge (»Air Policing«) über dem Baltikum in einen »echten Verteidigungseinsatz« zu transformieren, teilte der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Admiral Giuseppe Cavo Dragone, nach einem Treffen mit den 32 Generalstabschefs des Bündnisses am Sonnabend in der lettischen Hauptstadt Riga mit. Den Schritt hatte zuvor Lettlands Präsident Edgars Rinkēvičs gefordert. Er wäre nicht nur mit einer weiteren Aufstockung der NATO-Luftwaffeneinheiten in den baltischen Staaten verbunden, sondern auch mit schärferen Einsatzregeln und daher auch mit einer weiter eskalierenden Kriegsgefahr.
Dragone legte zudem unmittelbare Parallelen zwischen der heutigen Lage im Baltikum und dem Zweiten Weltkrieg nahe. »Am 25. September 1939« hätten »sowjetische Bomber und Aufklärungsflugzeuge den Luftraum aller drei baltischen Staaten« verletzt, erklärte Dragone in Riga; es habe sich dabei um »das Auftaktsignal für Moskaus Entschlossenheit« gehandelt, »seinen Willen durchzusetzen«. Dies »sollte heute noch tief bei uns nachhallen«. Zu der Frage, wann und mit welchem Ziel deutsche Militärs vor dem gegenwärtigen Konflikt mit Russland zuletzt im Baltikum operierten, äußerte der NATO-Offizier sich nicht.
Unabhängig davon und mit Blick auf die Drohnenkrise in Dänemark hat die NATO eine Aufstockung ihrer Aktivitäten und der dabei eingesetzten Mittel in der Ostsee angekündigt. So soll dort zusätzlich zu neuen – auch geheimdienstlichen – Aufklärungsmitteln die Fregatte »Hamburg« im Rahmen des NATO-Einsatzes »Baltic Sentry« (Ostseewache) operieren. Die »Hamburg« verfügt über spezielle Fähigkeiten in der Flugabwehr; sie hat soeben erst an einem Manöver mehrerer NATO-Staaten in der Ostsee teilgenommen und wurde laut Berichten dabei von russischen Militärjets in geringer Höhe überflogen.
Die Drohnenkrise in Dänemark hat sich unterdessen erneut verschärft. Wie am Sonnabend bekannt wurde, wurden in der Nacht zuvor erneut eine oder zwei Drohnen in der Nähe eines Luftwaffenstützpunktes gesichtet, diesmal bei Karup. Offiziell ist in Dänemark weiter von »unbekannten« Drohnen die Rede; faktisch aber werden sie freihändig als russische Drohnen eingestuft. Nicht thematisiert wird dabei, dass US-Truppen zuletzt im Rahmen mehrerer Manöver »Typhon«-Plattformen für den Abschuss von Mittelstreckenraketen auf der dänischen Insel Bornholm stationierten und Kopenhagen unlängst angekündigt hat, Langstreckenpräzisionswaffen zu beschaffen. Beides zielt auf russisches Territorium.
Unterdessen nutzt die Bundesregierung die Drohnenkrise, um sich in der Drohnenabwehr zu profilieren. Wie das Verteidigungsministerium mitteilt, wird die Bundeswehr sich beim informellen EU-Gipfel am Mittwoch und Donnerstag in Kopenhagen an Maßnahmen gegen mögliche Drohnenangriffe beteiligen. Eins der Gipfelthemen ist der Schutz kritischer Infrastrukturen, nicht zuletzt gegen Drohnen. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte derweil an, die Bundesregierung werde im Herbst Regeln für den Abschuss von Drohnen im Inland durch die Bundeswehr festlegen sowie ein neues Zentrum eigens für die Drohnenabwehr gründen.
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