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Aus: Ausgabe vom 27.09.2025, Seite 11 / Feuilleton
Popkultur

»Das ganze Leben besteht aus Codes«

Über Xmal Deutschland, die 80er und Comebacks. Ein Gespräch mit Anja Huwe
Von Maximilian Schäffer
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Anja Huwe mit Xmal Deutschland 1984 im Quartier Latin, Berlin

Ihr neues Album kam für viele überraschend. Was hat Sie zum Comeback bewegt?

Ich hatte seit sehr vielen Jahren immer wieder Anfragen von überall aus der ganzen Welt. Außerdem bin ich seit Anfang der 80er Jahre mit Mona Mur befreundet, die eigentlich auch Hamburgerin ist. Mona hat mich immer wieder inständig gebeten, mal wieder was zu machen. Das habe ich dann immer ganz aggressiv abgewehrt: »Nein, ich mach keine Musik mehr!« Irgendwann, zu Beginn von Corona, kriegte ich eine Anfrage aus Tel Aviv von jemandem, der in einer Doom-Metal-Band namens Tomorrow’s Rain spielt, was mich ja nicht die Bohne interessiert. Und die hatten dann so norwegische Freunde, die einen Track so halb fertig hatten, nämlich »Skuggornas« – Schatten –, der erste Song auf meinem Album. Das fand ich irgendwie ganz charmant, und dann hab’ ich aus lauter Langeweile mal in mein Telefon gesungen, das nach Berlin geschickt zu Mona Mur, die das gleich super fand und die Initiative hatte, das richtig aufzunehmen. So begann eigentlich die ganze Geschichte. Zudem unterhielt ich mich mit besagtem Yishai Sweartz in Tel Aviv, der mir von seiner bewegten Familiengeschichte erzählte. Die Angehörigen kamen aus allen möglichen Ecken Osteuropas, viele starben im Holocaust oder auf der Flucht. Dann kam der Ukraine-Krieg und Corona und dieser ganze Irrsinn dazu. Und irgendwie entwickelte sich daraus eine völlige Faszination: Was passiert eigentlich, wenn du aus deinem Umfeld verschwindest und in die Wälder gehst? Einfach völlig autark da lebst. Was macht das mit dir? Irgendwann hab ich dann zu Mona gesagt: »Weißt du was, ich glaub’, jetzt bin ich fällig, jetzt machen wir mal ein Album daraus.«

Wieso trägt Ihr Album den Titel »Codes«?

Yishais Großvater Mo­she Sniecki hatte sich während der Nazibesatzung als 17jähriger den Partisanen angeschlossen und ein paar Jahre lang in belarussischen Wäldern gelebt, bevor er nach dem Krieg nach Israel ging. Und es gibt ein Zitat von diesem Großvater: »Das ganze Leben besteht aus Codes, und wenn du denen nicht folgst, dann war es das für dich.« Das fand ich sehr richtig, das ganze Leben besteht aus Codes. Wie Menschen miteinander reden, wie sich Dinge entwickeln. Das fand ich einen sehr guten Begriff, um das als Essenz von allem zu manifestieren.

Wie haben Sie das fortwährende Interesse an Xmal Deutschland über die Jahre wahrgenommen?

Das hat niemanden auch nur irgendwie die Bohne interessiert, bis man irgendwie merkte, dass die Gothic-Szene das so pickte. Was uns aber auch nicht tangiert hat, wir wollten uns nie labeln lassen und haben das gar nicht genremäßig verfolgt. Aber das Album »Codes« ist ja letzten März gemeinsam mit den wiederveröffentlichten ersten Xmal-Deutschland-Sachen rausgekommen. Und das hat so eine Dynamik angenommen, das ist unglaublich. Damit hat auch kein Mensch gerechnet. Irgendwie war die Zeit reif dafür.

Die frühen 80er, Coldwave, Dark­wave sind wieder in der Jugendkultur.

Ja, das ist wirklich so. Ich seh das ja auch bei den Konzerten. Gerade habe ich am Sonnabend in Athen gespielt zusammen mit Peter Hook & The Light (ehem. Joy Division/New Order, jW). Ich kenne die Jungs noch aus Manchester, wir spielten ja viel in der Hacienda – übrigens auch keine Sympathen (lacht). Im Publikum aber waren 5.000 Leute. Und super viele total junge Menschen, die richtig dankbar waren. Da fragst du dich schon: Was ist denn hier los? Ich spiele zwar ein paar alte Xmal-Deutschland-Sachen, die sind aber auch bearbeitet, deutlich elektronischer, die gehen richtig nach vorne. Trotzdem war mir sehr wichtig, dass Manuela Rickers auf »Codes« wieder Gitarre spielt, dieser vertraute Stil von ihr. Im Grunde genommen bin ich aber selber über die Resonanz überrascht. Das muss ich ehrlich sagen. Ich find’s irre.

Nun kennen wir die Hintergründe des Neubeginns. Was aber war damals der Grund, mit der Musik aufzuhören?

Der Druck wurde immens. Als wir dann auf dem großen Label waren, also Phonogram UK, wollten die natürlich ganz gerne, dass ich in eine Solokarriere starte. Das habe ich aber abgelehnt, weil ich sah mich immer als Teil einer Band. Ich habe mich da nie so losgelöst gefühlt. Und dann ist es natürlich auch so, wenn du da so sechs, sieben Jahre lang Tag und Nacht aufeinander hockst, das macht was mit dir. Unterm Strich war all das, was ich da so erreicht hatte, viel mehr, als ich jemals gedacht hatte, mit dieser Band, die da aus Hamburg kam und aus Spaß angefangen hatte. Das reichte mir irgendwie. Das Business verkam auch irgendwann zur Routine. Es werden so viele Sachen von dir erwartet, die du früher gar nicht machen wolltest. Man lebte nur noch in so einer Blase aus Musikern, das limitierte mich. Also da bin ich irgendwie nicht frei. Und ich muss frei sein auf jeder Ebene.

Anja Huwe war als Sängerin der Hamburger Post-Punk-Band Xmal Deutschland in den frühen 80er Jahren so etwas wie die deutsche Siouxsie Sioux. Fünf junge Frauen aus Hamburg spielten einen melancholischen, stürmischen Sound, der vor allem außerhalb ihrer Heimat Resonanz erzeugte und in der Gothic-Szene bis heute nachhallt. »Incubus Succubus« wurde überraschend zu einem ewigen Schlager der düsteren Dancefloors. Nach gut 35 Jahren Absenz vom Musikbetrieb meldet sich Huwes legendär durchdringende Stimme mit einem Album und auf der Konzertbühne zurück.

Anja Huwe/Xmal Deutschland, 28. u. 30.9., Volksbühne am Rosa-­Luxemburg-Platz, Berlin, 20 Uhr

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