Gegen die Uhr
Von Felix Bartels
Gerade noch rechtzeitig zum Start meldeten sich vorsichtig ein paar Bedenkenträger. Ruanda, der autoritäre Staat, die Menschenrechte und so weiter. Die UCI tat, was sie am besten kann: weitermachen. Sportswashing ist im Radsport keine Ausnahme. Israel Premier Tech wird von einem kanadischen Milliardär finanziert, der sich als Botschafter Israels versteht. Bahrain – Victorius und UAE Emirates sind als staatseigene Teams Teil der Aufhübschstrategie der finanzierenden Länder. Das Problem aber reicht tiefer, es liegt in der Struktur des Profiradsports selbst, wo professionelle Mannschaften keine regionale Bindung besitzen. Procycling ist restlos Investorensport.
Bei der WM tauschen die Fahrer ihre Reklametrikots gegen Nationalfarben. Das führt mitunter zu bizarren Allianzen und Konflikten. Fahrer, die sonst Konkurrenten sind, müssen zusammenarbeiten. Fahrer, die sonst zusammenarbeiten, müssen gegeneinander ran. Schwer vorzustellen etwa, dass der Australier Jay Vine gegen den Slowenen Tadej Pogačar mit aller Kraft Nachführarbeit leistet, denn der ist den Rest des Jahres so etwas wie sein Vorgesetzter. Ein wenig anders verhält sich das schon beim Zeitfahren, wo das All-out weniger verfänglich ist als im taktisch geprägten Massenstart. Am Sonntag fanden die ersten beiden Veranstaltungen der WM statt, die Einzelzeitfahren der Frauen und Männer in der Eliteklasse.
Der Parcours in Kigali hat naturgemäß wenig flache Passagen, die Topographie der Region lässt das nicht zu. Entsprechend sagten viele Spezialisten ihre Teilnahme ab. Die kraftvollen Rolleure Filippo Ganna und Joshua Tarling zum Beispiel. Die 758 Höhenmeter auf eine Distanz von 40,7 Kilometern in der Ausgabe der Männer ließen sich als mittelschwer einordnen, erhöben sie sich nicht auf einer Baseline von 1500 Metern. Hochgebirgsbedingungen also, auf die man sich speziell vorbereiten muss und die Klassementfahrern im Vergleich zu Zeitfahrspezialisten etwas mehr entgegenkommen. Entsprechend ging Remco Evenpoel, der beiden Gruppen zugerechnet werden kann, als Favorit an den Start. Seinen stärksten Herausforderer identifizierte man in Pogačar, zweifellos der beste Klassementfahrer im gegenwärtigen Zirkus. Dass er in seiner Karriere nicht wenige Zeitfahren gewonnen hat, verdankt sich vor allem den enormen Wattwerten, die er im Verhältnis zu seinem Körpergewicht auf die Straße bringt. Ein Zeitfahrspezialist ist er nicht.
Wie auch am Sonntag sichtbar, hat Evenepoel eine bessere aerodynamische Position, womit er die bessere Schwellenleistung seines Herausforderers kompensieren kann. Pogačar ruht mit dem Oberkörper höher auf dem Lenkeraufsatz, was zu mehr Wind-widerstand führt. Obwohl er nach seinem Trainerwechsel Ende 2023 intensiv an der Verbesserung der Aeroposition gearbeitet hat, liegen zwischen ihm und Evenepoel Welten. Seinen Vorteil bei Anstiegen konnte er in diesem Zeitfahren nicht ausspielen und verlor auf Evenepoel nicht bloß 2:37 Minuten, er wurde von ihm eingeholt und musste sich zudem seinem Teamkollegen Jay Vine und dem Belgier Ilan van Wilder geschlagen geben. Weniger als drei Zehntel Sekunden fehlten Pogačar zur Bronzemedaille. Evenepoel dagegen holte den dritten Zeitfahr-WM-Sieg in Folge.
Im Wettbewerb der Frauen ging der Sieg ebenfalls nicht an die Fahrerin, die als beste und kompletteste gilt. Demi Vollering erreichte auf dem 10 Kilometer kürzeren Kurs den dritten Rang. Bei ihr scheint sich ein Kopfproblem zu zeigen. Es reichte in der laufenden Saison zuletzt nur gelegentlich noch für den ersten Platz. Seit Vollering 2024 die Tour de France knapp verlor, weil ihre damaligen Teamkollegen nach ihrem Sturz in Gelb nicht auf sie warteten, wirkt sie oft angefasst und hadernd. Silber ging an Anna van der Breggen, die einst das Klassikersegment dominierte und nach einer längeren Pause in mittlerweile biblischem Alter von 35 eine beachtliche, wenn auch nicht mehr herausragende Performance abgibt. Gold und damit ihren zehnten Saisonsieg holte die Schweizerin Maren Reusser.
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