Dunkle Energie loswerden
Von Erik Rhea
Früher dachten die Menschen, die Welt sei eine Scheibe. Eine galaktische Scheibe, innerhalb der sich unser Sonnensystem befinde. Diese Vorstellung wurde durch die beobachtende Astronomie vor ungefähr einhundert Jahren gründlich umgekrempelt. Die zahlreichen kleinen Nebel, die man massenhaft entdeckt hatte, entpuppten sich als durchaus nicht klein, sondern statt dessen als extrem weit entfernt. Es waren eigene Galaxien, und die Milchstraße plötzlich nur noch eine von sehr vielen dieser Sternenscheiben. Die von den Menschen geschätzte Größe der Welt hatte sich innerhalb weniger Jahre vervielfacht.
Bewegt und schnell
Man stellte zu dieser Zeit außerdem fest, dass die meisten Galaxien sich von uns wegbewegen. Das konnte man an der sogenannten kosmologischen Rotverschiebung feststellen. Wenn ein astronomisches Objekt sich von uns wegbewegt, werden die Lichtwellen, die es aussendet, sozusagen in die Länge gezogen, was zu einer Verschiebung im Lichtspektrum führt und als Verschiebung ins Rote sichtbar wird. Da alle etwas weiter entfernten Galaxien sich von uns entfernen, interpretierte man das so, dass es eigentlich das Universum selbst ist, das sich in alle Richtungen zugleich ausdehnt. Der katholische Geistliche Georges Lemaître zog daraus den Schluss, dass das Universum in der Vergangenheit wesentlich kleiner und folglich in ferner Vergangenheit winzig gewesen sein muss. Damit war die Urknalltheorie entstanden.
Die Theorie wurde untermauert, als man in den 1960er Jahren die kosmische Hintergrundstrahlung entdeckte. Ein sehr schwaches Leuchten im Mikrowellenbereich, das überall beobachtet werden kann, egal, in welche Richtung man blickt, und das nur sehr kleine Schwankungen enthält. Die kosmische Hintergrundstrahlung wird als eine Art Nachleuchten des Urknalls gedeutet. Sie gilt außerdem als Argument für das sogenannte kosmologische Prinzip, demnach das Universum auf kosmologischer Größenordnung immer ungefähr gleich aussieht, egal, von wo aus man es beobachtet und in welche Richtung man schaut.
Als in den 1990er Jahren die Beobachtungstechnik einen weiteren Entwicklungssprung machte, begann man vermehrt, extrem weit entfernte Objekte zu beobachten. Die aufgezeichneten Rotverschiebungen legten den Schluss nahe, dass sich das Universum nicht nur ausdehnt, sondern dass diese Ausdehnung auch noch beschleunigt stattfindet. Diese Messungen geben uns bis heute Rätsel auf, denn es gibt keine zufriedenstellende Erklärung für die Änderung der kosmischen Expansionsrate. Man postulierte eine sogenannte dunkle Energie, die die beschleunigte Expansion des Universums bewirken soll. (Achtung: Die dunkle Energie sollte nicht verwechselt werden mit dem Konzept der dunklen Materie, das die Form vieler beobachteter Galaxien erklären soll.) Diese Vorstellung verschiebt das Problem jedoch nur: Niemand kann überzeugend sagen, was diese dunkle Energie ist und woher sie kommen könnte. Um die beobachtete Expansion des Universums zu erklären, müsste das Universum jedoch zu einem Großteil aus dieser dunklen Energie bestehen.
Inhomogenes Universum
Heute leben wir im Zeitalter der sogenannten Survey-Astronomie. Das bedeutet, dass Beobachtungstechnik und Datenverarbeitung mittlerweile vermehrt eingesetzt werden, um sogenannte Durchmusterungen (Surveys) des Himmels vorzunehmen. Man beobachtet nicht einzelne Objekte, man kartographiert den Himmel systematisch. Solche Verfahren wurden in der Astronomie schon seit langem eingesetzt, allerdings nicht in dem Maß, wie es mittlerweile möglich ist. Die Surveys werfen weitere Fragen auf. Neue Daten deuten mehr und mehr darauf hin, dass das Universum auch auf großen Größenskalen von sogenannten Voids durchzogen ist: gigantische Bereiche, in denen sich de facto keinerlei Masse befindet. Es könnte sein, dass diese Voids das kosmologische Prinzip untergraben und also die Masseverteilung im Universum eben nicht homogen sein kann. Wäre das der Fall, müssten wir davon ausgehen, dass auch die Zeit in verschiedenen Bereichen des Universums verschieden schnell vergeht, denn die Gravitation, wie man seit der Relativitätstheorie weiß, beeinflusst den Ablauf von Zeit. Selbst wenn dieser Effekt nur relativ klein ist, würde er sich in großen Zeit- und Größenskalen signifikant summieren.
Wäre die Masseverteilung im Universum tatsächlich inhomogen, müssten wir diesen Effekt auch berücksichtigen, wenn wir beispielsweise Entfernungen oder eben die Ausdehnungsrate des Universums bestimmen. Das könnte dazu führen, dass unsere bisherige Annahme, das Universum dehne sich beschleunigt aus, nicht zutrifft und diese rätselhafte dunkle Energie gar nicht oder zumindest nicht in bislang angenommenem Ausmaß existiert. Aktuell gibt es Auswertungen von Daten zu Supernovae (Supernovae sind gigantische Sternenexplosionen, sie sind besonders hell und lassen sich daher gut beobachten), die auf eine Verletzung der kosmologischen Homogenität hindeuten. Allerdings reichen diese Daten noch nicht, um das kosmologische Prinzip tatsächlich zu widerlegen. Zum einen müssten sich Hinweise auf die Inhomogenität bei der Beobachtung verschiedener Objekte in verschiedenen Größenordnungen der Entfernung finden, während die aktuellen Auswertungen lediglich die Beobachtung von Supernovae betrachten, zum anderen müsste eine Theorie der kosmischen Inhomogenität die sehr homogene kosmische Hintergrundstrahlung erklären, was aktuell ebenfalls nicht geleistet ist.
Der Wunsch einiger Forscher, die dunkle Energie »loszuwerden«, ist jedoch verständlich, da man seit etwa 25 Jahren keine genauere Vorstellung davon entwickeln konnte, was dunkle Energie eigentlich ist. Aktuelle und geplante Surveys, wie zum Beispiel die momentan laufende Survey des Dark Energy Spectroscopic Instrument (DESI) im US-amerikanischen Bundesstaat Arizona, lassen nun zum ersten Mal seit Jahren die Hoffnung aufkommen, dass dem Phänomen der dunklen Energie doch noch beizukommen ist.
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