Zauderkünstler
Von Arnold Schölzel
Der Staatskonzern Deutsche Bahn wurde 1994 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Weil der Staat wirtschaftlich nichts kann, nur der sogenannte Markt – das hatte der »Sieg« über den Sozialismus schließlich bewiesen. Außerdem durfte die freie Fahrt für deutsche Autokonzerne nicht gefährdet werden. Bei dem Grundsatz blieb es bis heute: In Deutschland gilt auf den Schienen eine Wuchermaut, die höchste in Europa. Auf Autobahnen und Bundesstraßen verhinderten die Bundesverkehrsminister Nutzungsgebühren. Klassenauftrag. Die trottelige CSU-Maut für Ausländer scheiterte vor Gericht und kostete Hunderte Millionen Euro.
Einziges Problem: Die Eisenbahn steht als einziger Wirtschaftszweig im Grundgesetz, und zu allem Überfluss steht da auch in Artikel 87e: Der Bund habe bei seinen Eisenbahnen dafür zu sorgen, »dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen« Rechnung getragen wird. Ein klarer Fall von Restkommunismus, bürgerökonomisch also ein Kalb mit zwei Köpfen.
Das konnte nicht gutgehen, wusste 1994 jeder mit gesundem Menschenverstand – ausgenommen Immobilienspekulanten. Das ist das Geheimnis hinter dem Milliardenloch, das »Stuttgart 21« genannt wird. Den Auftakt zur Bahnzerstörung gab am 18. April 1994 die Pressekonferenz, auf der vier Tunnelfans den Startschuss für die deutsche Variante von »Drill, Baby, Drill« gaben. Der Rest ist Geschichte, die Bahn heute mehr oder weniger am Ende – auf Kosten der Eisenbahner und der Bahnkunden. In der »Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene«, die Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) am Montag vorstellte, steht exemplarisch: »Im Juni/Juli 2025 lag die Pünktlichkeit des Fernverkehrs erstmals in der Geschichte der DB drei Tage in Folge unter 40 Prozent.« An solchen Tagen wäre es für Beschäftigte und Fahrgäste komfortabler, wenn kein Zug abgefertigt wird und die Information alle rechtzeitig erreicht.
Nun wird also »aufgeräumt«, sagte die neue Bahn-Chefin Evelyn Palla am Montag. Meinte aber nur die Bahn-Verwaltung. So steht es um die gesamte »Agenda«: Alle Ziele der bisherigen Sanierungsstrategie werden einfach um einige Jahre geschoben. Zaudern als neue Bahn-Kunst, um nicht von Insolvenzverschleppung zu reden. Für die Trassenpreise, die laut Branchenplattform Lok-Report »bis zu gut 40 Prozent der Produktionskosten des Eisenbahnbetriebs« hierzulande ausmachen, werden »Reformen« angekündigt. Das lässt Schlechtes ahnen. Die unverschämte Erhöhung der Schienenmaut im vergangenen Jahr – mehr als 16 Prozent für den Güterverkehr – wird nicht zurückgenommen. Der Ankündigung der Eisenbahnergewerkschaft, dass die Bahn demnächst ihre Fahrpreise um etwa zehn Prozent erhöhen will, wurde nicht widersprochen.
Allgemeinwohl und Maximalprofit sind nicht vereinbar. Freundliches Zaudern verschlimmert das Desaster.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (23. September 2025 um 11:39 Uhr)DEUTSCHE BUNDESBAHN IN BÜRGERHAND So wie die Antwort auf alle Fragen 42 ist, so simpel ist der wesentlichste Teil der Antwort auf die Frage, wie weiter mit der Deutschen Bahn als Aktiengesellschaft: Gar nicht! Hier hätte schon vorgestern Schluss sein müssen. Die Deutsche Bahn - zurück in die Zukunft - gehört wieder in Deutsche Bundesbahn umgewandelt. Oder Deutsche Bundesbahnen. Nach Schweizer Vorbild, den Schweizer Bundesbahnen, bekanntlich eine der besten Bahnen der Welt. Kernpunkte: Die Bahn bleibt bzw. wird wieder eine Einheit. Mit Netz, Zügen, Bussen, sonstiger Infrastruktur. Die Bahn hat Prio im Verkehrswegplan. Die Bahn erhält die entsprechenden Mittel. Der unfähige Vorstand einer strukturell unfähigen AG wird in die Wüste geschickt - ein neuer Vorstand wird für die Bundesbahn bestellt. Berater aus der Schweiz (Schweizer Bundesbahnen) sollten eine führende Rolle übernehmen. Nach Schweizer Vorbild ist ein Halbstundentakt das Ziel. Bahnen und Busse agieren dabei vernetzt. Es wird geprüft, welche Stecken wieder für Personen oder Güterverkehr in Betrieb zu nehmen sind oder ggf. neu gebaut werden müssen. Sanierungen sind so kundenfreundlich wie möglich durchzuführen. Möglichst wenig Streckensperrungen, möglichst gute Ersatzverkehre. Auch hier wissen die Schweizer Bundesbahnen, wie man das macht. Güter gehören auf die Bahn. In der Realität, nicht als Parole. Personenverkehr sollte so attraktiv werden - preislich und vom Komfort her - dass mehr und mehr Menschen umsteigen. Weil sie es wünschen, nicht weil Autoverkehr behindert wird. All das sollte von den Bahnbeschäftigten und ihren Gewerkschaften, sowie von demokratischen Bürger- und Expertenräten und von den Parlamenten der Länder und des Bundes begleitet und mitbestimmt werden.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (22. September 2025 um 21:35 Uhr)Eine ergänzende Anmerkung zu Stuttgart 21: Laut dem zukünftigen Fahrplan soll man von Stuttgart nach Ulm sechs Minuten früher ankommen. Ich finde es merkwürdig, dass die angeblich sparsamen Schwaben bereit sind, Milliarden dafür auszugeben, sechs Minuten früher in Ulm zu sein. Mir ist niemand bekannt, der freiwillig so viel Geld für eine derart geringe Zeitersparnis investieren würde. Einen wirklichen Bedarf dafür gab es nie. Hätte man die Landesmilliarden stattdessen zwischen den beiden Städten verteilt, wären wohl alle glücklicher gewesen.
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