Anerkennung irgendwann
Von Philip Tassev
Großbritannien, Kanada, Australien und Portugal haben sich am Wochenende in die wachsende Zahl von Ländern eingereiht, die einen souveränen Staat Palästina anerkennen. 151 der 193 in den Vereinten Nationen vertretenen Staaten erkennen nun die palästinensische Nationalbehörde unter Präsident Mahmud Abbas als legitime Repräsentantin des palästinensischen Volkes an. Das sind beinahe so viele, wie den Staat Israel anerkennen.
Die BRD zählt nicht dazu. Denn Berlin hat »eine andere Beurteilung des Sachverhalts«, wie der stellvertretende Regierungssprecher Sebastian Hille am Montag erklärte. Die Haltung der Bundesregierung in der Palästina-Frage sei bekannt und bleibe unverändert. »Wir halten eine Anerkennung eines Staates Palästina für einen der abschließenden Schritte auf dem Weg hin zu einer Zweistaatenlösung«.
Für Montag war in New York eine UN-Generaldebatte dazu angesetzt. Vor seiner Abreise dorthin hatte auch Außenminister Johann Wadephul (CDU) das Nein der deutschen Regierung bekräftigt, stellte es aber dabei so dar, als würde die Bundesregierung langfristig auf eine Zweistaatenlösung hinwirken. »Für Deutschland steht die Anerkennung eines palästinensischen Staats eher am Ende des Prozesses«, sagte er vor Journalisten. Dieser Prozess müsse »jetzt« beginnen. Der Weg dorthin sei einer »der Verständigung, des Ausgleichs, der Verhandlungen«. Offenbar an London, Paris, Ottawa oder Canberra war seine Mahnung gerichtet: »Niemand sollte an dieser Stelle eine Politik verfolgen, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.« Die Region brauche im Moment umgehend einen Waffenstillstand, zudem »deutlich mehr humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza und die sofortige, bedingungslose Freilassung der Geiseln«.
Gegen Wadephul liegt – ebenso wie gegen zehn andere deutsche Politiker und Rüstungsmanager – seit Freitag ein Antrag auf Strafverfolgung beim Generalbundesanwalt vor. Das Berliner Anwältinnenkollektiv wirft ihm und den anderen Beschuldigten Beihilfe zum Völkermord in Gaza, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen vor.
Weniger diplomatisch als der Außenamtschef drückte sich CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann gegenüber der Rheinischen Post vom Montag aus. Eine Anerkennung Palästinas sei das »grundfalsche Signal« und »Symbolpolitik«, die den Frieden nicht näher bringe. »Im Gegenteil: Eine Anerkennung spielt der Hamas in die Hände, die sich in ihrem brutalen Terrorkampf gegen Israel bestätigt fühlen wird«.
Dem widersprach die Kovorsitzende der Linkspartei, Ines Schwerdtner. Gegenüber dpa kritisierte sie, dass die Bundesregierung die Augen verschließe, »während in Gaza unermessliches Leid herrscht«. Die Anerkennung eines palästinensischen Staates sei »mehr als ein Symbol«, nämlich »ein klares Signal, dass eine friedliche Zukunft im Nahen Osten nur auf Grundlage einer Zweistaatenlösung möglich ist.«
Für Grünen-Kochef Felix Banaszak hat sich ein »historisches Fenster« für eine politische Lösung geöffnet, wie er am Montag sagte. Kanzler Friedrich Merz laufe nun Gefahr, »dieses historische Fenster an sich vorbeiziehen zu lassen, weil er nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen«. Banaszak forderte Merz auf, ebenfalls zur UN-Generaldebatte nach New York zu reisen. Es sei »nicht erklärlich«, warum Merz nicht die Gelegenheit nutzt. Auf die Äußerungen Wadephuls entgegnete er, es reiche nicht, »darauf zu verweisen, dass eine solche Lösung am Ende eines Prozesses steht, wenn man sich um den Prozess nicht bemüht.«
SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich hat nach eigenem Bekunden wenig Hoffnung, dass eine Anerkennung Palästinas große Auswirkungen hat. Gegenüber den Funke-Zeitungen bezweifelte er, »ob die Anerkennung eines palästinensischen Staates derzeit irgendeinen Einfluss auf die Bearbeitung des Nahostkonflikts hat«. Eine Anerkennung setze zudem »neben einem Staatsvolk Grenzen und eine funktionierende Verwaltung voraus. Das bleibt in noch weiter Ferne.«
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